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wurde, übereinstimmt, und ob die für die einzelnen Stadien des
legislativen Verfahrens (oben $$ 158, 103) maßgebenden Normen
beobachtet wurden, der Nachprüfung des Richters entzogen m,
Damit ist nicht gesagt, daß der Richter jedes Gesetz unbesehen
anzuwenden hat, Er ist so berechtigt wie verpflichtet, folgende
Punkte und Fragen zu prüfen:
l. ob das, was ihm mit dem Anspruch, Gesetz zu sein, ent-
gegentritt, wirklich ein Gesetz ist, den Willen der bestelienden
Legislative darstellt. Diese Prüfung ist nach dem oben Gesagten
stets sehr einfach, sie besteht darin, daß das Gericht sich davon
überzeugt, daß das Gesetz ordnungsmäßig verkündigt ist. Was,
ohne Abweichung von den maßgebenden Publikationsvorschriften,
als Gesetz im Gesetzblatt steht, ist Gesetz, für jedermann und
auch für den Richter;
— 2. ob das Gesetz so, wie es im Gesetzblatt steht, noch gilt
und nicht etwa durch ein späteres Gesetz aufgehoben oder ab-
geändert ist. Dies bedarf keiner besonderen Begründung;
— 3. ob das anzuwendende Gesetz nicht etwa einer — sei es
später, sei es früher ergangenen — Norm höheren Ranges wider-
m So: Laband 2 44ff.; Jellinck, Ges. u. Verordn. 402 ff.; O. Mayer,
Verwaltunger. (1. Aufl.) 1 282; derselbe, Söchs. StR 174; Zorn, SıR 1 418;
v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 3 54, 59; Anschütz, Enzykl. 157, 158, 166, 167;
Lukas, Gesetzespublikation 4ff., 214ff.; v. Kirchenlieim, l.ehrb. d. Stit 319;
Boruhak, Allg. Staatslehre (2. Aufl.) 206, 207; Touwbie im ArchÖRR 3 407;
Walz, Bad. StR 220; Dorwer-Seng, Bad. Landesprivatr. 12fl. Die Vor-
genannten folgern den Ausschluß des richterl. Prüfungsrechts aus dem Wesen
und den Wirkungen der Ausfeıtigung, während v. SNeydel und Piloty
(Seydel-Piloty; Bayer. SıR 1 >40, 841), zu dem gleichen Ergelmis gelangend,
hier mit dem Begrift der Sanktion operieren. In der Rerlıtsprechung tolgt
ein Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, in dessen Entachei-
dungen 27 290 abgedruckt, der Ansicht Labanıs. Das Reicl.sgericht bejaht in
feststehender Judikatur das Prüfungsreclt gegenüber Verordnungen (8. u, 745)
sowie das Recht des Richters, Landesgesetze auf ihre Reichsgesetzmäßigkeit
zu prüfen (s. d. nächste Anm.), es verneint ferner das Prüfungsrecht be-
bezüglich der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Gesetze (s. u. 743, 744);
zu der Frage, ob der Richter die formelle Verfassungrmäßigkeit der Gesetze
(d. h. das ordnung-mäßige Zustandekommen) zu untersuchen habe, hat es,
wie Hubrich, Reichsgericht 34, 35 zeigt, bisher noch keine Stellung ge-
nommen. — Arndt, Komm. zur RV (4. Aufl.) 65, 155 und Reichstaatsr. 185,
Dambitsch, RV 61. 62, v. Jagemann, Die deutsche RV 9. stımmen mit Laband
und den anderen oben zitierten Schriftstellern im Ergebnis überein, wollen
aber den Ausschluß des Prüfungsrechts aus RV Art. 2 herleiten, wo es
heißt: Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre Ver-
kündigung von Keich wegen. Durch den Ausdruck „verbindliche Kratt*
werde jede Überprüfung des vertassung-mäßigen Zustandekommens des
Gesetzes ausgeschlossen. Diese Begründung ist nicht zutreffend, sie ver-
kennt den Sinn des Art. 2. In jenem Satz des Art. 2 wird an «las richter-
liche Prüfungsrccht nicht gedacht; was verneint wird, ist nicht dieses Prü-
fungerecht, sondern die Verkündigung der Reichsgesetze durch die Einzel-
staaten. Der Ton des Satzes liegt nicht auf „verbindliche Kratt“, sondern
auf „von Reichswegen“. Gegen Arndt auch Hubrich a. a. ©. 34, 35, Kahn,
AnnDR 1907 489, 490, 597, Trier, Verfassungswidr. Reichsgesetze 24, 25, 68.
Von Laband und seinen Anhängern abweichend (weitgehendes Prüfungs-
recht): Schack a. a. O. 26T #.