Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Funktionen. $ 173. 143 
spricht. Ein solches Rangverhältnis besteht zwischen den Gesetzen 
eines Gemeinwesens zu denen des ihm staatsrechtlich tibergeord- 
neten Gemeinwesens, also im Verhältnis der Landesgesetze zu den 
Reichsgesetzen (oben $ 167), der „Gesetze“ (Satzungen, Statuten) 
der mit Autonomie ausgestatteten innerstaatlichen Verbände (z. B. 
regierende Häuser, Kirchen, Kommunalverbände, vgl. oben S. 641, 
642) zu den Staatsgesetzen, nicht aber zwischen den einfachen 
Gesetzen des Staates (Reich, Einzelstaat) zu der Verfassung des- 
selben Staates, 
Daraus folgt: 
a) Die Gerichte haben zu prüfen, ob die Landesgesetze (nicht 
nur die Landes-, d. h. Einzelstaatsgesetze in formellem Sinne, 
sondern überhaupt alles innerhalb der Einzelstaaten entstandene 
Recht, alle Landesgesetze im weitesten Sinne) mit den Reichs- 
gesetzen, die autonomischen Satzungen der innerstaatlichen Ver- 
bände (Hausgesetze, Kirchengesetze, kommunale Statuten) mit den 
Staatsgesetzen in Einklang stehen, und im Verneinungsfalle der 
Norm niederen Ranges die Anwendung zu versagen», 
b) Nicht dagegen ist zu prüfen, ob die Landesgesetze mit der 
Landesverfassung, die Reichsgesetze mit der Reichsverfassung 
materiell im Einklang stehen. Dann nach deutscher — das Reichs- 
wie das Landesstaatsrecht beherrschender — Auffassung ist die 
Verfassung im Verhältnis zu den einfachen Gesetzen keine Norm 
höherer Ordnung; sie erscheint nicht als Ausdruck eines von der 
Legislative verschiedenen, ihr übergeordneten staatlichen Organ- 
willens, sondern sie ist und gilt als Akt der Legislative selbst. 
Die Verfassung steht nicht über der gesetzgebenden Gewalt, sondern 
zu ihrer Disposition. Sie ist keine Macht, die über dem einfachen 
Gesetz so hoch stünde, wie dieses etwa über der autonomischen 
Satzung eines innerstaatlichen Verbandes (s. oben) oder über einer 
Verordnung (s. unten) und welcher der Richter infolgedessen mehr 
gehorchen müsste als dem Gesetz. Die Verfassung ist für die 
gesetzanwendenden Instanzen, auch für die Gerichte, nicht mehr 
und nichts anderes als ein einfaches formelles Gesetze. Weicht 
ein nach der Verfassung erlassenes Gesetz von ihr ab, so ist, 
gemäß dem Grundsatz lex posterior derogat priori, dieses Gesetz, 
n Dies ist in der Wissenschaft wie in der Rechtsprechung allgemein 
anerkannt; insbesondere ist das Recht und die Pflicht des Richters, die 
Landesgesetze (auch die Landesverfassungsgesetze) auf ihre Reichsgesetz- 
mäßigkeit zu prüfen, niemals bestritten worden. (Vgl. Laband, StR ? 122, 
128; Triepel, Reichsaufsicht 492. Landesgesetzliche Bestimmungen, welche 
die Rechtsgültigkeit der Gesetze und landeslerrlichen Verordnungen der 
erichtlichen Kontrolle entziehen — vgl. oben 738 —, können diesem Prü- 
füngsrecht keinen Abbruch tun (übereinstimmend die Rechtspr. des Reichs- 
erichts, vgl. Hubrich, das Reichsgericht 37, 38). Insbesondere gilt dies von 
dem Art. 106 Abs. 2 der preuß. Verfassung; vgl. Bornhak, Preuß. StR 1 559, 
Anschütz, Enzykl. 161, Arndt, Kommentar zu Art. 106 N. 10. 
o Vgl. Anschütz, Komm, z. preuß. Verf. 1 66 und die dort angeführten 
Schriften von Arndt.
	        
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