748 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 175.
besitzt das Begnadigungsrecht in allen denjenigen Sachen, in denen
das Reichsgericht, ein elsaß-lothringisches Gericht, ein Konsular-
gericht oder ein Gericht der Schutzgebiete in erster Instanz er-
kannt hat®. Das Begnadigungsrecht kann einem anderen Staats-
organ delegiert werden?!. Todesurteile dürfen erst vollstreckt
werden, wenn die Entschließung des Staatsoberhauptes bzw. des
Kaisers ergangen ist, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch
machen zu wollen®.
Dem Begnadigungsrecht sind durch die Verfassungen häufig
gewisse Schranken gezogen®. Namentlich ist dasselbe bei Ver-
urteilungen von Ministern wegen Amtshandlungen entweder ganz
ausgeschlossen oder die Ausübung nur auf Antrag der antragenden
Kammer gestattet!°. Das Recht der Niederschlagung noch nicht
beendigter Strafprozesse (Abolition)!! haben einige Verfassungen
völlig aufgehoben!?, andere wenigstens bei gewissen Arten von
Verbrechen für unzulässig erklärt!. Wo es bestehen geblieben
ist, wird die Ausübung desselben mitunter an das Gutachten des
obersten Gerichtes ** oder besondere gesetzliche Ermächtigung !°
geknüpft ®,
e RStPrO $ 484, KGG $ 42, SchGG $ 2. Das Begnadigungsrecht des
Kaisers in Eisaß-Lothringen ergibt sich aus der franz. Vert. vom 14. Jan.
1852 Tit. III $ 9 und dem Senatusconsult vom 25. Dez. 1852 Art. 1 in Ver-
bindung mit dem RG vom 9. Juni 1871 $ 3. Hierzu Laband, StR 8 512ff.,
Binding a. a. O. 315 ff.
? Solche Delegationen haben in Preußen an verschiedene Minister
(vgl. v. Roenne, Preuß. Staatsrecht (4. Aufl.) 18 108 S. 545 ff. und AHE vom
26. Sept. 1897), in Elsaß Lothringen an den Statthalter (V. vom 5. Nov. 1894)
etattgefunden. [Die Zulässigkeit der Delegation wird für das preußische
Staatsrecht von v. Roenne a. a. O. 548 bestritten, von Arndt, Komm. z. Preuß.
Verf. 205, DJZ. 1901 230, 231, Laband, StR 8 509, 510, Delaquis, WStVR
1 379 und Schwartz, Komm. z. Preuß. Verf. 142 dagegen bejaht.]
8 RStrPO 8 485.
9% Die Behauptung Lüders (a. a. O. 98ff.‘, daß Schranken des Be-
gnadigungsrechtes wegen des Charakters desselben als eines Souveränetäts-
rechtes nicht zulässig seien, entbehrt aller Begründung.
10 Preuß. Verf. Art. 49, Bayı. G., die Verantwortlichkeit der Minister
betr, vom 4. Juni 1848 Art. 12, Sächs. Verf. $ 150, Württ. Verf, $ 205,
S.-Weim. RGG _$ 59, S.-Mein. GG $ 106, S.-Kob.-Goth. StGG 8 176, Old.
StGG Art. 10, Reuß j. L. StGG $ 116, Schaumb.-Lipp. Verf. Art. 10, Wald.
Verf. $ 12. — Eine analoge Bestimmung hinsichtlich des Begnadigungs-
rechtes des Senates bei Verurteilungen der Senatsmitglieder enthält ie
Hamb, Verf. Art. 24 u. 53.
1 J. Heimberger, Das landesherrliche Abolitionsrecht (1903); Fleisch-
mann im WStVR 1 50ff.; Binding a. a. O. 8ı2fl.; Fritzschen, Das landes-
herrl. Abolitionsrecht (Freib. Diss. 1906); Arndt, Komm. z. Preuß. Verf. 200 ff.
1? Bayr. Verf. Tit. VIII $ 4.
12 Hess. Verf. Art. 50 (bei Dienstverbrechen der Staatsdiener), Braunschw.
NLO $ 111 (bei Verfassungsverletzungen).
1 Braunschw. NLO. 8 208.
15 Preuß. Verf. Art. 49 Abs. 8, Dazu Fleischmann a. a. O. 52, 53,
18 Von verschiedenen Schriftstellern wird die Meinung vertreten, die
Abolition sei durch die Reichsjustizgesetzgebung aufgehoben oder beschränkt
worden. Jastrow im Gerichtssaal 84 532 ff. hält sie für völlig beseitigt.