Die Funktionen. $ 178. 761
Verwaltung“, folgt aus den oben $ 157 S. 652 entwickelten Normen
über den Vorbehalt des Gesetzes. Ist es nämlich, wie das dar-
gelegt, richtig, daß die Inanspruchnahme von Freiheit und Eigen-
tum der Einzelnen wider deren Willen dem Gesetz ausschließlich
vorbehalten ist, so ergibt sich, daß andere außer dem (Gesetz-
geber Eingriffe in Freiheit und Eigentum nur vornehmen dürfen
kraft gesetzlicher Ermächtigung.
„Gesetz“ im Sinne vorstehender Ausführungen ist jede Rechts-
norm. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unter-
stellt den materiellen Sinn des Gesetzesbegriffes (oben 539, 654).
Er fordert nicht, daß jedem administrativen Eingriff in Freiheit
und die oben zit. Arbeit von Schade, 364 ff.), denen des thüring. OVG in
Jena in der oben S. 752 Anm. 5 a. E. zit. Entsch. folgt.
Abweichende Anschauungen, wonach administrative Eingriffe auch ohne
esetzliche Grundlage zulässig sein sollen, sind mit fortschreitender Zeit
immer seltener geworden; sie beruhen zum Teil auf dem Mißverständnis,
als müsse nach dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung jeder Ver-
waltungsakt auf einer ausdrücklichen formellgesetzlichen Ermächtigung be-
ruhen (s. darüber oben im Text), Namhafte Vertreter solcher Anschauungen
waren v. Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht 86 ff. (gegen ihn: Rosin in
Schmollers J. 9 1003 und Laband 2 193 N. 1) und G. Meyer, AnnDR 1878
983 und in den Norauflagen dieses Lehrbuchs, vgl. noch 6. Aufl. 649: „Die
Verwaltung darf nicht bloß dasjenige tun, wozu sie durch Gesetz ausdrück-
lich ermächtigt ist, sondern alles, was ihr nicht durch Gesetz untersagt ist“
(hiergegen OVG 12 400 und meine Bemerkungen in der 6. Aufl. 650 Anm. $,
4 sowie PrVBi 22 84 N. 3). Gegenwärtig wird der Standpunkt Sarweys
und G, Meyers für die preußische Polizei (ganz sicher mit Unrecht, völlig
zutreffend Wolzendorfi, PrVBl 82 370, 371 und VArchiv 20 280) noch von
Friedrichs, Polizeigeeetz S. 236 ff. und für die württembergische Verwaltungs-
praxis (anscheinend) in einigen Entscheidungen des württemb. Verwaltungs-
gerichtshofes (vgl. Bübler a. a. O. 112 ff.) festgehalten.
Bühler a. a. O. 71 ff. meint, daß das Prinzip der gesetzmäßigen Ver-
waltung nicht durch die konstitutionelle Gewaltenteilung bedingt und auch
sonst nicht durch die konstitutionellen Verfassungen eingeführt sei, es be-
ruhe vielmehr auf einem selbständigen Gewohnheitsrechtssatz, der sich nicht
vor den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts ausgebildet habe.
In der Rechtsprechung sei das Prinzip zuerst von dem preuß. OVG, in der
Literatur nicht vor Laband und Leuthold (s. oben) vertreten worden. Diese
Behauptungen sind von W. Jellinek, ArchÖffR 82 585 ff. schlagend wider-
legt worden. Insbesondere weist Jellinek nach, daß der Grundsatz, wonach
jeder admiuistrative Eingriff auf Gesetz beruhen muß, nicht erst in der
1. Aufl. von Labands Staatsrecht (1878) aufgestellt worden ist, sondern in
der staatsrechtlichen Literatur schon Jahrzehnte vorher (z. B. bei Mauuren-
brecher, 18387, und K. E. Weiß, 1843) auftritt, und daß vor allem (was übrigens
schon lange bekannt war; vgl. die von Jellinek S. 589 zit. Schriften von
Loening und Rosin, sowie Anschütz, Gegenwärt. Theorien über den Begriff
der gesetzgeb. Gewalt 129) das preuß. ALR das Prinzip der Gesetzmäßig-
keit der Verwaltung nicht sowohl kennt als ausdrücklich ausspricht (AL
Einl. 5 87, I 8832) Was Bühler zugegeben werden kann, ist, daß das mit
der Umwandlung des absoluten (Polizei-) Staates in den konstitutionellen
(Rechts-) Staat in Kraft getretene Prinzip der gesctzmäßigen Verwaltung
weder der Praxis noch der Wissenschaft überall sogleich in seiner vollen
Tragweite zum Bewußtsein gekommen und von der Praxis (d. h. der Ver-
waltungspraxis) oft nur zögernd. und widerwillig anerkannt worden ist. Das
ist aber nichts Neues. Gegen Bühler auch Waldecker, Krit. Vierteljahres-
schrift 3. Folge 17 118ff. und Wolzendorff im VerwArch 28 126, 127.