Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Funktionen. $ 178. 763 
Vom Privileg unterscheidet sich die Dispensationh da- 
durch, daß jenes positiv wirkt — es schafft ein Vorrecht für eine 
einzelne Person —, diese aber negativ, indem sie lediglich die 
Wirksamkeit einer allgemeinen Norm für den einzelnen Fall aus- 
schließt. Die rechtliche Natur der Dispensation ist, wie die des 
Privilegs, bestritten. Für einigei ist die Dispensation stets und 
notwendigerweise ein gesetzgeberischer Akt, ein Spezialgesetz, 
während anderek in ihr eine Verwaltunzshandlung erblicken. Die 
Wahrheit liegt, wie beim Privileg (s. oben), in der Mitte: Privileg 
und Dispensation können legislative, können aber auch administrative 
Akte sein. Als Gesetzgebungsakt erscheint insbesondere die Dis- 
pensation dann, wenn der Gcsetzgeber selbst — wozu er stets 
und ohne weiteres befugt ist — sein Gesetz für einen Einzelfall 
oder für eine bestimmte Anzahl von Einzelfällen außer Kraft 
setztl; als Verwaltungsakt dagegen dann, wenn die ringuläre Außer- 
kraftsetzung durch ein Verwaltungsorgan bewirkt wird. Ob letzteres 
ohne besondere gesetzliche Ermächtigung zulässig ist, entscheidet 
sich nach der Art und Wirkungskraft der Norm, von welcher 
dispensiert werden soll. Ist diese Norm ein formelles Gesetz, so 
kann — schon wegen der formellen Gesetzeskraft (oben 645) — 
Dispensation im Verwaltungswege nur erteilt werden, wenn und 
soweit das Gesetz dies ausdrücklich zuläßt”. Im tibrigen gilt die 
  
  
201; Zöpfl, 2 8 481 S. 673 erwähnt als Schranke der Privilegienerteilung 
nur die erworbenen Rechte dritter Personen; Hinschius a. a. O. $11 sieht 
dieselben als einen Akt der Gesetzgebung an, ebenso Gierke, Deutsches 
Privatrecht 1 804; dagegen mehr wie oben im Text Hinschius-Kahl a. a. O. 198, 
h Hinschius, Art. Dispensation in v. Stengels Wörterb. 1 277 ff.; der 
Art. ist umgearbeitet und ergänzt von Kahl im WStVR 1 568 ff. (im folgen- 
den zitiert: Hinschius-Kahl), Vgl. ferner die oben Anm. f angegebene Schrift 
von v. Gerber, sowie E Meier in Holtzendorffs Rechtslex. 1 540 ff.; Steinitz, 
Dispensationsbegriff u. Disp.-Gewalt auf dem Gebiete des deutschen Staats- 
rechts (1901). eitere Literaturnachweise bei Hinschius-Kalıl a. a. O 572. 
I v. Gerber, Hinschius, E. Meier, Kahl, Steinitz; vgl. Hinschius-Kahl 569. 
k G. Meyer, Voraufl 652, Friedberg, Lehrb. d. Kircbenrechts 275. Gegen 
beide Hinschius-Kahl 569. 
In diesem Sinne ist oben $S. 641 Anm. e und 645 von Privilegien 
und Dispensationen gesprochen worden. 
m Die älteren Schriftsteller hielten allerdings noch vielfach an dem 
Grundsatz fest, daß dem Monarchen auch ohne gesetzliche Ermächtigung das 
Recht zustehe, von bestelienden Gesetzen, z. B. Steuergesetzen, zu dis- 
ensieren, so namentlich H. A. Zachariae 1 $ 163 S. 184 und R. v. Molıl, 
ürttemb. Staatsrecht $ 34. In diesen Anschauungen hat sich aber, nament- 
lich unter dem Einfluß der Anm. f erwälnten Abhandlung v. Gerbers ein 
vollständiger Umschwung vollzogen. Vgl. über diese Entwicklung G. Meyer, 
Die Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses über den Erlaß 
von Stempelsteuern für Fideikommisse in den Neuen Heidelberger Jahr- 
büchern 1 386 ff.; Steinitz a. a. O. 47 ff. Gegenwärtig wird der Grundsatz, 
daß der Monarch nur auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung dispensieren 
könne, von fast allen staatsrechtlich: n Schriftstellern au‘gestellt: v. Gerber 
a. a. O.; H. Schulze, Preußisches Stantsrecht 2 61, Lehrbuch des Deutschen 
Staatsrechts 1 8 190 S. 536; Ulbrich in Grünhuts Zeitschrift 9 28, Öster- 
reichisches Staatsrecht $ )60 S. 480; v. Sarwey, Württembergisches Staats- 
recht 2 68ff.; E. I,oening. Deutsches Verwaltungsrecht 227 ff.; A. Arndt,
	        
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