Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

180 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 182. 
abhängig gestellte) Verwaltungsorgane gehandhabt wird: Trennung 
der streitentscheidenden von der sonstigen (reinen, tätigen) Ver- 
waltung. | 
Verwaltungsgerichtsb arkeit ist eine streitent- 
scheidende TätigkeitderVerwaltung, ausgeübtdurch 
gerichtsähnliche Behörden (Verwaltungsgerichte) in 
einem prozeßähnlichen Verfahren (Verwaltungs- 
streitvorfehren)]. 
I. Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den 
Hauptländern Europas ist in ihren Grundzügen folgende: 
1. In England ist eine Verwaltungsgerichtsbarkeit in dem 
angegebenen Sinne unbekanntb. In der älteren Gestaltung der 
englischen Verwaltung war die Ausübung der lokalen Verwaltungs- 
befugnisse von dem Einfluß der jeweiligen Ministerialverwaltung 
unabhängig. Eine Trennung der Justiz und Verwaltung im kon- 
tinentslen Sinne bestand nicht. Die Friedensrichter vereinigten 
in ihren Händen zahlreiche Verwaltungsfunktionen mit der niederen 
mittleren und der Strafgerichtsbarkeit. Bei der genauen Fixierung 
aller Verwaltungsbefugnisse durch Gesetze blieb für eine Ver- 
ordnungsgewalt der höheren Behörden kein Raum. Ebensowenig 
besaßen dieselben irgend welche Jurisdiktion in Verwaltungs- 
angelegenheiten. Die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Vor- 
schriften geschah im Streitfalle durch die Gerichtsbarkeit der 
obersten Reichsgerichte. Doch übten diese ihre kontrollierenden 
Befugnisse nicht in den gewöhnlichen Formen des Zivilprozesses, 
sondern vermittelst gewisser außerordentlicher Rechtsmittel aus, 
Hierin hat sich auch dadurch nichts geändert, daß infolge der 
Gesetzgebung des Jahres 1888 ein großer Teil der Verwaltungs- 
befugnisse der Friedensrichter auf die Grafschaftsräte übergegangen 
ist. — Dagegen hat sich in der neueren Verwaltungsorganisation, 
welche seit der ersten Reformbill auf dem Gebiete des Armen-, 
Bau-, Gesundheits-, Schulwesens usw. entstanden ist, eine aus- 
gedehnte Verordnungsgewalt und Jurisdiktion der Zentralbehörden 
(vornehmlich des Ministeriums für Selbstverwaltung [local govern- 
ment board]), durchaus analog der der Ministerien des Kontinents, 
entwickelt, ohne daß es aber zur Entwicklung einer Verwaltungs- 
gerichtsbarkeit in unserem Sinne gekommen wäre«. 
b Vgl. die oben $53 N. 2 angegebene Literatur, vor allem die Arbeiten 
Goneists, die indessen die neuesten andlungen der englischen Verwaltungs- 
und Gerichtsorganisation nicht mehr berücksichtigen. Zur Ergänzung und 
Berichtigung neists: Hatschek, Engl. Staatsrecht 2 609 ff.;, derselbe, Das 
Staatsrecht des Verein. Königreichs Großbritannien-Irland (1914) 214 ff., 270 ff. ; 
Redlich, Englische Lokalverwaltung (1901) 630 ff., 641 ff.; Kocllreutter, Ver- 
waltungsrecht und Verwaltungsrechtsprechung im modernen England (1912) 
109 ff. Die einschlägige englische Literatur ist in allen diesen Werken zitiert. 
c Vgl. hierüber ingbesondere die Darstellungen Redlichs u. Koellreutters, 
oben Anm. b. Einen Überblick gibt Anschütz, Justiz und Verwaltung, in 
der Kultur der Gegenwart a. a. O. 418 ff.
	        
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