800 Zweiter Teil. Drittes Buch, $ 184.
In England°® ging aus der Befugnis der Commons, hohe
Staatsbsamte vor dem König im Großen Bat zur Verantwortung
zu ziehen, das Recht der Anklage (impeachment) des Unterhauses
hervor, In den Zeiten der Verfassungskämpfe diente dasselbe
namentlich dazu, unerlaubte Eingriffe in den verfassungsmäßigen
Rechtszustand zu verfolgen. Unter Karl II. wurde zuerst die An-
sicht aufgestellt, daß die Minister auch für honesty, justice und
utility ihrer Maßregeln verantwortlich seien, eine Auffassung,
welche noch in der heutigen staatsrechtlichen Doktrin Englands
Billigung findet, Mit Ausbildung der parlamentarischen Regierung
trat aber, soweit die politische Zweckmäßigkeit ministerieller Maß-
regeln in Betracht kam, an Stelle der förmlichen Anklage das
Mißtrauensvotum des Unterhauses. Die Eingriffe in die verfassungs-
mäßigen Rechte hörten seit dieser Zeit auf. Das impeachment
nahm daher den Charakter einer gewöhnlichen Kriminalanklage
an, welche bei Veruntreuungen und ähnlichen Verbrechen in An-
wendung gebracht wurde. Bei dem in England geltenden System
der Privatanklage gewährt das impeachment den Ministern sogar
eine im Vergleich mit anderen rechtlich geschütztere Stellung, in-
dem nach Ansicht der englischen Jurisprudenz die demselben unter-
worfenen Personen der gewöhnlichen Privatanklage nicht unter-
liegen. Das Richteramt steht dem Oberhause zu, welches den
Angeklagten nicht nur seines Amtes entsetzen, sondern auch zu
gewöhnlichen Kriminalstrafen verurteilen kann.
2. Einen anderen Charakter besitzt das Anklagerecht der
Volksvertretung in den Vereinigten Staaten von Amerika®.
Auch hier ist dem Repräsentantenhause die Anklägerrolle, dem
Senat das Richteramt übertragen?. Aber. das Urteil des Senates
erstreckt sich nur auf Amtsentsetzung und Unfähigkeitserklärung,
in den Vereinigten Staaten ein besoldetes oder Ehrenamt zu be-
kleiden. Eine etwa sich daranschließende Verurteilung muß durch
die ordentlichen Gerichte erfolgen®. Durch diese Bestimmungen
hat das impeachment gegen den Präsidenten, Vizepräsidenten und
die Zivilbeamten der Union, wenn es auch in den Formen eines
gerichtlichen Verfahrens und Urteils auftritt, materiell den Charakter
® Gneist, Englisches Verwaltungsrecht 1 346 ff., 435 ff,, Verwaltung,
Justiz und Rechtsweg 157ff.; Th. Erskine May, Treatise on the law of
parliament, chap. 23; v. Frisch a. a. O. 88 5, 12, 88, 55. Vgl. auch Rehm,
a. a. O. 3835; Hatschek, engl. StR 1 531 ff., engl. Verfassungsgeschichte 402 fi.,
Staatsrecht des Vereinigten Kgr. Großbritannien-Irland (1914) 83 ff., 115 ff.
© The Federalist Nr. 65 (Hamilton); Tocqueville, La democratie en
Am£rique L. I. chap. 7; Story, Commentaries on the constitution of the
United States, 4. edit., Boston 1873, 88 743 ff.; Rüttimann, Das nordamerika-
nische Bundesstaatsrecht T. I S. 219ff.; E. Schlief, Die Verfassung der
nordamerikanischen Union 165 ff.; v. Holst, Staatsrecht der Vereinigten
Staaten von Amerika, in Marquardsens Handbuch des öffentlichen Rechtes
S. 86 ff.; Freund, Öffentl. Recht der Verein, Staaten von Amerika 167 ff.
? Verf. der Verein. Staaten Art. 1 Sect. 2 8 5, Sect. 3 8 6.
8 Verf. der Verein. Staaten Art. 1 Sect. 3$ 6. Freund a. a, O. 169.
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