802 Zweiter Teil, Drittes Buch. $ 181.
das englische impeachment. Dagegen nähert sie sich in bezug
auf den Inhalt des Urteils dem amerikanischen System. Das
Urteil darf nach den meisten Verfassungen nur auf Amtsverlust
und Unfähigkeit zur Bekleidung anderweiter Ämter lauten. Die
Verhängung einer Strafe bleibt dem ordentlichen Gerichtsverfahren
vorbehalten ?°, Von diesen Grundsätzen ist nur die badische Gesetz-
gebung abgewichen !7, nach welcher die Ministeranklage nicht bloß
wegen Verletzung der Verfassung oder anerkannter verfassungs-
mäßiger Rechte, sondern auch wegen schwerer Gefährdungen der
Sicherheit und Wohlfahrt des Staates zulässig ist. Das Urteil
geht auf Verlust des Amtes und Unfähigkeit zur Bekleidung
weiterer Ämter.
Die Unklarheiten, an welchen das deutsche System der
Ministeranklage leidet, sind dadurch verstärkt worden, daß man
die Frage der Ministerverantwortlichkeit getrennt von den übrigen
Rechtskontrollen der Verwaltung behandelte. Man sah in der-
selben nicht bloß ein Mittel zur Aufrechterhaltung des objektiven
Verfassungszustandes, sondern auch ein solches zum Schutz der
verfassungsmäßigen Individualrechte’®, Gegen die
Entscheidungen, welche der Minister als oberster Interpret des
Verfassungsrechtes gab, glaubte man, ein außerordentliches Rechts-
mittel in den Formen eines Strafverfahrens gefunden zu haben,
Diesen Zwecken zu dienen, ist jedoch die Ministeranklage völlig
ungeeignet; die Garantie für die Aufrechterhaltung der Individual-
rechte vermag nur eine unabhängige Verwaltungsgerichtebarkeit
zu gewähren.
Noch weniger darf die Ministeranklage, wie es durch das
badische G. vom 20. Februar 1868 geschehen ist, als ein Mittel
betrachtet werden, um ein Urteil über das politische Ver-
halten des Ministers herbeizuführen?®. Politisch unzweck-
mäßige oder gefährliche Handlungen eines Ministers können poli-
tische Maßregeln der Volksvertretung gegen ihn zur Folge haben,
176 ff., der selbst nicht dieser Meinung ist. Gegen die strafrechtliche Auf-
fassung auch Rehm a. a. O. 328 ft.
18 Bayer. G. vom 4. Juni 1 Art. 9, Sächs. Verf. $ 148, Württ. Verf.
8 2038, Braunschw. NLO 8 110, S.-Kob.-Goth. StGG 8 164. — D en kann
nach den Bestimmungen des S.-Weim. RGG 858, des Reuß j. L. StGG $ 114
und des Old. G. vom 24. März 1855 Art. 23 neben der Dienstentlassung die
Verurteilung zu einer Kriminalstrafe erfolgen. Die Württ. Verf. $ 203 und
das S.-Kob.-Goth. StGG $ 164 gestatten neben der Amtsentsetzung und
Suspension die Verhängung von Verweisen, erstere auch die von Geld-
strafen, ebenso das Schaum „Lipp- G. vom 2. Jan. 1849 Art. 7.
17 Bad. G., die Abänderung des $ 67 der Verf.-Urk. bezüglich der Ver-
antwortlichkeit der Minister betr, vom 20. Febr. 1868 Art. IV $ 67a.
18 R. Mohl, Ministerverantwortlichkeit 5, 227 und 228.
19 Dieser Standpunkt wird allerdings von vielen Schriftstellern ver-
treten. Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht 257; Samuely a. a. O. 76 ff.;
H. Schulze, Preußisches Staatsrecht $ 281; K. Rößler 72 fl.; (Geffcken) 231;
Opitz, Sächsisches Staatsrecht 2 248. Vgl. dagegen auch Hauke a. a. O.
15ff. Thudichum a, a. O. 684 ff.; Pistorius a. a. O. 182 ff.