Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

806 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 186. 
der anklagenden Kammer in Anwendung gebracht werden!®, In- 
soweit das Urteil auf Amtsverlust und Unfähigkeit zur Wieder- 
anstellung lautet, hat die Begnadigung die Bedeutung, eine Wieder- 
anstellung zu ermöglichen. Eine solche ist jedoch in einzelnen 
Staaten auch dann gestattet, wenn das verurteilende Erkenntnis 
einen ausdrücklichen Vorbehalt in dieser Beziehung enthält !®, 
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Im Deutschen Reiche ist nach der R. V. (Art. 17) der 
Reichskanzler der einzige Beamte, welcher eine den Ministern 
der Einzelstaaten analoge Stellung einnimmt und einer entsprechen- 
den Verantwortlichkeit unterliegt. [Diese Verantwortlichkeit hat 
in bezug auf die von ihm gegengezeichneten kaiserlichen An- 
ordnungen und Verfügungen eine ausdrückliche reichsverfassungs- 
mäßige Anerkennung gefunden!, umfaßt jedoch auch diejenigen 
Akte des Kaisers, welche der Reichskanzler, ohne sie kontrasigniert 
zu haben, ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt hat, sowie, 
selbstverständlich auch die eigenen Handlungen des Reichskanzlers, 
Dem Reichskanzler stehen die auf Grund des Reichsgesetzes vom 
17. März 1878 für ihn ernannten Stellvertreter gleich. Die Ver- 
antwortlichkeit ist grundsätzlich als eine rechtliche anzusehen. 
Sie erstreckt sich nicht nur darauf, daß die vom Reichskanzler 
ausgehenden oder kontrasignierten Akte der Reichsverfassung, den 
Reichsgesetzen und auf den Gebieten, auf welchen der Bundesrat 
Kompetenz besitzt, den Verordnungen und Beschlüssen des Bundes- 
rates entsprechen, sondern auch auf die Zweckmäßigkeit der 
Akte?, Mittel, um die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und 
seiner Stellvertreter geltend zu machen, gewährt zunächst das 
Zivil-, Straf- und Disziplinarrecht. In Zivil- und Strafsachen 
gegen den Reichskanzler und seine Stellvertreter sind, gemäß den 
allgemeinen Bestimmungen und im gewöhnlichen Verfahren, die 
ordentlichen Gerichte zuständig; die Ausübung der Disziplinar- 
ewalt gegenüber den obersten Beamten ist allein Sache des 
Kaisers a, Weiterhin fehlt es aber auch nicht an Mitteln, ver- 
möge deren Bundesrat und Reichstag den Reichskanzler und seine 
Stellvertreter zur Rechenschaft ziehen können. Zwar die Ein- 
richtung der Ministeranklage (oben $$ 184, 185) kennt das Reichs- 
staatsrecht nicht. Aber andere Möglichkeiten kommen in Betracht, 
Es ist Rechtspflicht des Reichskanzlers, die kaiserliche Politik als 
12 Preuß. Verf. Art, 49, Bayr. G. vom 4. Juni 1848 Art. 12, Bad. G. 
vom 20. Febr. 1868 Art. II $ 672, 8.-Weim. RGG 859, S.-Kob.-Goth. StGG 
8 176, Braunschw. NLO 8 111, Schw.-Sondh, LG a, 57, Reuß j. L. StGG 
s 116, Schaumb.-Lipp. G. vom 2. Jan. 1849 Art. 8, Wald. Verf. 8 12, G. vom 
4. Juni 1850 Art. 16. 
18 Sächs. Verf. 8 150, Württ. Verf. $ 205, Reuß j. L. StGG $ 116. 
ı RVerf. Art. 17. Vgl. oben $ 195 8. 537. 
® Vgl. oben 8 135 8. 528; Anschütz, Enzykl. 112. 
a Vgl, oben 3 153 S. 627 (Entlassungsrecht).
	        
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