Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

812 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 189, 
selben noch nicht begründet, sondern erst durch Einführung 
seitens der betreffenden Staatsgewalt®. Diese Einführung kann 
nun aber entweder so erfolgen, daß die verbindlichen Vorschriften, 
welche der Vertrag enthält, durch ein besonderes Gesetz festge- 
stellt werden, oder so, daß dem Vertrage durch Publikation in 
der Gesetzsammlung unmittelbare gesetzliche Kraft beigelegt wird. 
Das Recht der Einführung von Staatsverträgen steht im absoluten 
Staat selbstverständlich ebenfalls dem Monarchen zu. In kon- 
stitutionellen Staaten ist dagegen für die Ein- und Durchführung 
der Staatsverträge eine Mitwirkung der Volksvertretung erforder- 
lich, [wenn der betreffende Vertrag Bestimmungen enthält, welche 
nach Maßgabe der Verfassung von der Staatsregierung nicht ein- 
seitig, sondern nur mit Zustimmung der Volksvertretung getroffen 
werden dürfen, wenn er also insbesondere finanzielle Ausgaben 
notwendig macht oder Änderungen im Rechtszustand des be- 
treffenden Landes bewirkt]. Die Zustimmung der Volksvertretung 
kann entweder in der Art eingeholt werden, daß derselben eine 
zur Ausführung des Vertrages notwendige Gesetzes- bzw. Budget- 
yorlage unterbreitet, oder in der Art, daß ihr der Vertrag selbst 
zur Genehmigung vorgelegt wird®. 
Die Verfassungen der deutschen Einzelstaaten 
® Zorn, Deutsche Staatsverträge a. a. O. und AnnDR 1889 374 ff, von 
der unrichtigen Auffassung ausgehend, daß es kein Völkerrecht, sondern 
nur ein äußeres Staatsrecht gibt, verwirft die Unterscheidung der völker- 
rechtlichen und der staatsrechtlichen Seite der Staatsverträge vollständig. 
Er nimmt an, daß die Verträge auch gegenüber den Untertanen verbindliche 
Kraft durch die Ratifikation erhalten, obwohl letztere nur ein Akt gegen- 
über dem anderen Kontrahenten, nicht gegenüber den Untertanen ist. Von 
ähnlichen Anschauungen geht die [selbstverständlich ganz unhaltbare] Be- 
hauptung Zorns Staatsr. 1 497 ff. aus, daß die Staatsverträge „gar keinen 
juristischen Charakter“ hätten. Vgl. dagegen auch Jellinek, Staatenverträge 
. 55; Laband 2 132 N. 2. — Von einem ganz anderen Standpunkte aus 
behauptet W. Kaufmann, Rechtskraft des internationalen Rechtes S. 30, daß 
durch Staatsverträge unmittelbare Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen 
begründet würden, weil das durch dieselben geschaffene objektive Recht 
die Untertanen direkt verpflichte. Diese Auffassung ist desbalb nicht zu- 
treffend, weil die Begründung derartiger Pflichten eine Ausübung von Herr- 
schaftsrechten voraussetzt, welche nur dem eigenen Staate über seine Unter- 
tanen zusteht. Wenn einzelne richterliche Erkenntnisse Bestimmungen von 
Staatsverträgen als unmittelbar anwendbares Recht behandeln, so liegt den- 
sclben doch stets die Auffassung zugrunde, daß diescs Recht in dem be- 
treffenden Staate kraft des Willens der in ihm herrschenden Staatsgewalt 
gilt. Deshalb können auch, wie im Gegensatz zu Kaufmann a. a. O. 71 ff. 
und in Übereinstimmung mit der herrschenden Praxis behauptet werden 
muß, Staatenverträge durch spätere Gesetze geändert werden. Ein solches 
Verfahren ist zwar völkerrechtlich unzulässig, aber staatsrecht- 
lich möglich. Vgl. auch Triepel a. a. O, 181 ff. FÜbereinstimmend mit 
dem Text Anschütz, Enzykl. 173, 174.] 
® Die erste Form des Verfahrens ist in England die allein übliche. 
Das englische Parlament kennt, wie Gneist (a. a. O. 341) mit Recht hervor- 
hebt, keine Geschäftsform, in welcher die Zustimmung zu Staatsverträgen 
zu erteilen wäre, rel. zu dcm englischen Oqeiem auch Ricß a. a. O. 7 ff., 
sowie namentlich Hatschck, engl. StR 1 622 fi.]
	        
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