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lich in Preußen unter Friedrich Wilhelm I. ausgebildet. Das von
ihm eingeführte sogenannte Kantonsystem legte zuerst in Deutsch-
land den Untertanen wieder eine Wehrpflicht, wenn auch nur in
beschränktem Umfange auf?. Auf dieser Grundlage baute die
preußische Gesetzgebung des neunzehnten Jahrhunderts fort.
Bei dem Wiederaufbau des Staates, welcher sich nach dem Tilsiter
Frieden vollzog, wurde an Stelle der beschränkten Kantonpflicht
die allgemeine Wehrpflicht gesetzt®. Die mittleren und kleineren
deutschen Staaten nahmen in dieser Zeit dasselbe Prinzip an, aber
in der abgeschwächten Form des französischen Konskriptionssystems
mit Auslosung und Stellvertretung. Bei der Gründung des Nord-
deutschen Bundes wurden die Grundsätze der preußischen Heeres-
verfassung auf die übrigen norddeutschen Staaten ausgedehnt.
Gleichzeitig gingen auch die süddeutschen Staaten zu denselben
über (vgl. oben $ 66), so daß ihr Eintritt in den Bundesverband
keine wesentliche Anderung ihrer militärischen Verhältnisse zur
Folge hatte.
Die bewaffnete Macht des Deutschen Reiches. zerfällt in das
Landheer, die Marine und die Schutztruppen der Schutz-
gebiete. Das Landheer wird eingeteilt in das stehende Heer
und die Landwehr, die Marine in die Flotte und die See-
wehr. Das stehende Heer und die Flotte sind beständig zum
Kriegsdienst bereit. Beide dienen als die Bildungsschulen der
ganzen Nation für den Krieg. Die Landwehr und die Seewehr
sind zur Unterstützung des stehenden Heeres und der Flotte be-
stimmt* Die Schutztruppen der Schutzgebiete haben die Auf-
gabe, die öffentliche Ordnung und Sicherheit in den (afrikanischen)
Schutzgebieten aufrechtzuerhalten®. Außerdem kann im Kriegs-
tall der Landsturm aufgeboten werden; ihm liegt die Pflicht
ob, an der Verteidigung des Vaterlandes teilzunehmen, bei außer-
ordentlichem Bedarf wird er auch zur Ergänzung des Heeres und
der Marine herangezogen ®,
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[Im zusammengesetzten Staate sind sehr verschiedenartige
Gestaltungen der Heeresverfassung (staatsrechtlichen Ordnung des
Kriegswesens) denkbar, entsprechend den verschiedenen Möglich-
keiten, welche in bezug auf die Verteilung der Militärhoheitsrechte
zwischen. der Zentral- (Bundes) Gewalt und den Glied- oder Einzel-
2 Vgl. Bornhak, Preuß. St.- u. R.-Gesch, 176 fi.
3 Die Gesetzgebung fand ihren Abschluß in dem G. über die Ver-
pflichtung zum Kriegsdienst vom 3. September 1814.
s RG, betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom 6. November
1867 38 2—6.
5 RG, betr. die kaiserlichen Schutztruppen in den afrikanischen Schutz-
gebieten und die Wehrpflicht daselbst, vom 18. Juli 1896 $ 1.
. 6 RG, betr. ‚die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom 9. Nov. 1867.
s 16. RG, betr. Änderungen der Wehrpflicht vom 11. Febr. 1888 $ 28.