Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

74 Erster Teil. Erstes Buch. $ 22. 
2. Der Kaiser. 
8 22. 
Das deutsche Reich war, solange die Karolinger regierten, 
ein Erbreich, nahm nach ihrem Aussterben den Charakter eines 
erblichen Wahlreiches an und wurde seit dem Interregnum 
ein reines Wahlreich!. Die Wahl des Königs erfolgte ur- 
sprünglich durch die Gesamtheit der Fürsten, unter denen jedoch 
einzelne bald den tatsächlich entscheidenden Einfluß und eine 
äußerlich hervorragende Stellung gewannen. Aus diesen gingen 
die Kurfürsten hervor, denen in späterer Zeit das Recht der Wahl 
ausschließlich zukam?. Eine rechtliche Ordnung der Kaiserwahl 
fand durch die Goldene Bulle statt. Der Erzbischof von Mainz 
sollte innerhalb eines Monates, nachdem der Tod des Kaisers be- 
kannt geworden, die Wahl nach Frankfurt a. M. ausschreiben, 
wo die Kurfürsten entweder in Person oder durch Gesandte :zu 
erscheinen hatten®, Die Wahl erfolgte durch Majorität*. An die- 
selbe schloß sich die Krönung an, deren staatsrechtliche Be- 
deutung ursprünglich darin bestand, daß sie den Gewählten in 
den Besitz der Regierungsgewalt setzte. Die Krönung war im 
Mittelalter eine dreifache: in Aachen durch den Erzbischof von 
Köln zum deutschen Könige, in Pavia, mitunter in Mailand 
oder Monza, durch den Erzbischof von Mailand zum König von 
Italien und in Rom durch den Papst zum römischen Kaiser. 
Seit Ferdinand I. beschränkte man sich auf eine einmalige 
Krönung, welche schließlich durch den Erzbischof von Mainz in 
Frankfurt a. M. erfolgte. Als Zeitpunkt des Regierungsantrittes 
wurde seit dieser Zeit das Beschwören der Wahlkapitulation an- 
gesehen. 
[Die Wählbarkeit anlangend, so verlangte der Sachsenspiegel 
freie und ehrliche Geburt und schloß lediglich Solche aus, die 
mit schweren Leibesgebrechen behaftet oder „mit Recht in des 
Papstes Bann gekommen waren“®. Darüber hinaus forderte 
aber ein unzweifelhaftes, zuerst im Schwabenspiegel?T bezeugtes 
Gewohnbeitsrecht Zugehörigkeit zum Herrenstande (hohem Adel). 
Und nach Lage der tatsächlichen Verhältnisse konnte seit dem 
1 Const. Ludw. d. Bay. $$ 3u4 W.C. Art II$ 2. 
8 Hierüber ist in neuerer und neuester Zeit eine reiche Literatur ent- 
standen, 8. dieselbe bei Schröder, D. Rechtsgesch. $ 43 Anm. 9 481 und 
Brunner, Grundzüge 133, 134. Zu dem dort Zitierten vgl. noch Stutz, Der 
Erzbischof von Mainz und die deutsche Königswahl 1910). 
®sG.B. Cap. 1 88 18, 19, 21. 
* G. B. Cap. II $ 6. 
6 Vergleich zwischen Kurmainz und Kurköln, die Krönung eines 
römischen Königs betreffend, vom 16. Juni 1657 (bei Sehmauß C. j. publ. 
1028. W.C. Art. III 89. 
°8. Sp. III 54838. 
7 Schw. Sp. L 123.
	        
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