Die Funktionen. $ 196. 841
fest aneinandergekettet, so fest, daß sie zwar immer noch nicht
zu einem „Einheitsheer* im Rechtssinne, wohl aber zu einem
Kontingentsheer geworden sind, welches — der Weltkrieg zeigte
es — dem deutschen Volke und seinem Reiche ganz dasselbe
leistet, als wäre es ein Einheitsheer. Und damit ist dem politischen
Bedürfnis, es ist dem großen Grundsatz, auf dem das Reich auf-
gebaut ist: Einheit nicht soweit als möglich, sondern soweit als
nötig, genügt. -
Es ist ihm genügt, indem durch die Verfassung dem Reiche
eine derartige Fülle von militärischen Hoheitsrechten — nicht nur
auf dem Gebiete der gesetzgebenden, sondern auch auf dem der
vollziehenden Gewalt — tibertragen wurde, daß dadurch die den
Einzelstaaten noch verbleibende Heeresgewalt — die Kontingents-
herrlichkeit — auf ein der materiellen Einheitlichkeit und
damit der militärischen Leistungsfähigkeit des Gesamtheeres un-
schädliches, also im Sinne der nationalen Interessen erträgliches
Maß zurückgeführt ist. Jeder deutsche Einzelstaat hat, nach der
Reichsverfassung, eine ihm eigene Wehrmacht für sich, aber nicht
eine beliebige, sondern eine in bezug auf Stärke, Organisation,
Bewaffnung, Ausrüstung, Ausbildung so beschaffene, wie die Ge-
setze, Verordnungen, Verfügungen der Reichsgewalt es ihm vor-
schreiben. So ist erreicht worden, worauf es, als Deutschland
nach dem Kriege von 1866 mit einer neuen Staatsverfassung auch
eine neue Heeresverfassung erhalten sollte, ankam: Einheit in
der Sache unter Verzicht auf die Einheit in der
Form.
Die im Vergleich mit der einfach-unitarischen Formung der Marine
(s. u, 8 199) viel verwickeltere, gemischt föderalistisch-unitarische Verfassung
des Heeres ist das Ergebnis der Rücksicht auf partikularistische Forderungen,
mit denen man, da man sie nicht schlechthin abweisen wollte, paktieren
mußte. Als der Norddeutsche Bund gegründet wurde, befanden sich, von
früheren Zniten her, alle, auch die kleinsten deutschen Staaten im Besitz
eigener Truppen, und die Erhaltung der hierin sich verkörpernden Militär-
hoheit wurde, wenn nicht von allen, so doch von den größeren unter ihnen
als Ehrenpunkt angesehen. Die preußischen Grundzüge vom 10. Juni 1866
(oben 188, 184) wollten denn auch, unter Verzicht auf weitergehende Einheits-
wünsche, die einzelstaatliche Militärhoheit nicht beseitigen, sondern sie nur
beschränken. An einen Bruch der hierin onthaltenen Zusicherung konnte
Preußen, als es dann auf der Basis seiner „Grundzüge“ den Norddeutschen
Bund errichtete, um so weniger denken, als es ja selbst, dem Stolz und
Eigengefühl seiner Armee Rechnung tragend, keineswegs gesonnen war,
seine militärische Autonomie zugunsten eines unitarischen Bundesheeres
aufzugeben. Dazu kam noch, daß, wie der Norddeutsche Bund überhaupt,
80 insbesondere seine Heeresverfassung von vornherein so angelegt werden
mußte, daß der künftige Beitritt der süddeutschen Staaten, die noch weniger
als die kleinen norddeutschen Länder geneigt waren, auf ihre militärische
Selbständigkeit zu verzichten, innerhalb des Bereichs politischer Möglich-
keit blieb. So verbot es sich schon bei der Gründung des Norddeutschen
Bundes und mehr noch bei seiner Erweiterung zum Reiche von selbst, das
Heer völlig zu unitarisicren; der gewiesene Weg war, das dem Reiche
lebensnotwendige Maß militärischer Macht und Einheit in föderalisti-
schen Formen zu erreichen. Und dieser Weg ist beschritten worden. Die
Militärhoheit steht nach der Reichsverfassung nicht dem Beiche nllein zu,