Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Zeit des alten deutschen Reiches. $ 28. 79 
Interesse der fürstlichen Häuser an einem größeren Stimmbesitz. 
Es wurden daher seit Anfang des sechzehnten Jahrhunderts Ver- 
suche gemacht, die Stimmen ausgestorbener Häuser weiterzuführen, 
und im letzten Drittel desselben fing man an, Widerspruch gegen 
Vermehrung der Stimmen bei Erbteilungen zu erheben. So 
bildete sich der Grundsatz aus, daß die Stimmen auf den Ländern 
hafteten*. Durch die Wahlkapitulation Ferdinands IV. von 
16535 wurde dem Kaiser das Recht, reichsständische Personalisten 
zu ernennen, genommen und als notwendiges Erfordernis für den 
Erwerb der Reichsstandschaft der Besitz eines reichsunmittelbaren 
Landes und die Aufnahme durch das betreffende Kollegium hin- 
gestellt. Tatsächlich ist schon seit dem Jahre 1582 kein Fürst 
mehr ohne Besitz eines reichsunmittelbaren Territoriums und ohne 
Zustimmung des Fürstenrates aufgenommen worden. Dies hat 
Veranlassung gegeben, diejenigen Fürstenhäuser, welche eine 
Virilstimme auf dem Reichstage schon im Jahre 1582 besaßen, 
als altfürstliche, diejenigen, welche sie erst nachher erworben 
hatten, als neufürstliche zu bezeichnen ®,. 
Neben den Fürsten waren zuerst unter Wilhelm von Holland 
und regelmäßig seit Rudolf von Habsburg auch die Städte auf 
dem Reichstage vertreten. Diese hielten von Anfang an getrennte 
Beratungen. Allmählich sonderten sich auch die Kurfürsten von 
den anderen Fürsten ab. So entstanden (im fünfzehnten Jahr- 
hundert?) die drei reichsständischen Kollegien: 
1. das Kurfürstenkollegium. Nach der Goldenen Bulle ® 
gab es drei geistliche und vier weltliche Kurfürsten: die Erz- 
bischöfe von Mainz, Trier und Köln, den König von Böhmen, den 
Pfalzgraf bei Rhein, den Herzog von Sachsen und den Markgraf 
von Brandenburg. Im Jahre 1623 wurde die pfälzische Kur auf 
Bayern übertragen und diese Übertragung erhielt durch den West- 
fälischen Frieden ihre ausdrückliche Bestätigung®. Für das pfäl- 
zische Haus schuf man damals eine neue (achte) Kurstimme'!®. Im 
Jahre 1692 verlieh der Kaiser dem Hause Braunschweig-Lüneburg 
die Kurwürde, welche jedoch erst im Jahre 1708 die Anerkennung 
des Reichstages fand. Gleichzeitig wurde auch die böhmische 
Kurstimme, welche seit Wenzel nicht mehr geführt worden war, 
+ W. Domke, Die Virilstimmen im Reichsfürstenrat 1495—1654, Breslau 
1882 (Heft 11 Untersuch. z. deutsch. Staats- u. Rechtsgesch. von Gierke). 
5 W. C. Ferd. IV Art. 45 $ 1 (in den späteren Wahlkapitulationen 
Art. 1$ 4) Ebenso der Jüngste Reichsabschied von 1654, $ 197 (Zeumer, 
Quellensammlung 446). Vgl. hierzu auch Rauch, Traktat über den Reichstag 
108, 45. 
' * Häberlin, Handbuch des teutschen Staatsrechtes 1 271 ff. 
? Rauch, Traktat über den Reichstag 59, 111. Die Gliederung des 
Reichstags in die drei Kollegien ist, wie dort nachgewiesen wird, schon für 
den Frankfurter Reichstag von 1489 sicher bezeugt. 
eG.B.c IV $4. 
9 Instr. pac. Osnabr. Art, IV \ 3. 
10 Instr. pac. Osnabr. Art. IV S 5.
	        
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