924 Zweiter Teil. Drittes Buch, $ 209.
der Reichsfinanzverwaltung®®. Für die Ausübung der-
selben sind die nämlichen Grundsätze maßgebend, welche in den
Einzelstaaten, insbesondere in Preußen, gelten®!. Die Vorprüfung
2° RVerf Art. 72. Vgl. über diesen Gegenstand die Arbeiten von
Thrän über die Kontrolle des Reichshaushaltes und über das künftige
Gesetz betr. die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des Reichs,
AnnDR 1%2 481 ff., 1908 1 ff., 81 ff.
21 (Dies gilt namentlich auch hinsichtlich der Frage, ob eine „Justifika-
tion“ von Etatsüberschreitungen sowie ein Verzicht auf Einnahmen, welche
der Reichskasse zustehen, durch kaiserliche Verfügungen („justifizierende
Kabinettsorders“) zulässig ist, Vgl. über die einschlägigen landesrechtlichen
und allgemeinen Grundsätze oben $ 206 S. 898 Anm. 2. Eine Justifikation
von Überschreitungen des Ausgabeetats durch kaiserlichen Erlaß ist dem
Reichstage gegenüber ohne rechtliche Wirkung, denn die Reichsregierung
kann sich nicht zur Leistung von Ausgaben ermächtigen, welche. ım Etat
nicht vorgesehen sind. Das Recht zum Verzicht auf Einnahmen, wie über-
haupt auf geldwerte Ansprüche des Reichs, steht dem Kaiser als Oberhaupt
der Reichsverwaltung zu, soweit es sich herleiten läßt aus dem Begriff und
Wesen der Verwaltung (s. oben $ 206 S. 898 und Laband 4 571-573). So
liegt es zweifellgs im Rahmen der allgemeinen Verwaltungsbefugnisse, wenn
durch kaiserliche Verfügung einem Schuldner des Reichsfiskus seine Ver-
pflichtungen erlassen werden, oder darauf verzichtet wird, das Rückgriffs-
recht gegenüber einem Reichsbeamten (oben 618) gelten. zu machen, oder
wenn in gleicher Weise ein Kassendefekt (oben 609) niedergeschlagen wird.
Nicht dagegen ist die Reichsleitung, also auch der Kaiser nicht, befugt, von
Reichsgesetzen zu dispensieren, Insbesondere nicht von solchen, welche
Steuern oder andere öffentlichrechtliche Abgaben auferlegen. Deshalb, und
weil das Reichsrecht — im Gegensatz zu den Gesetzen Preußens, Sachsens,
Badens, vgl. oben 5 206 N. 2. — eine allgemeine Ermächtigung der Reichs-
leitung zum Verzicht auf Steuerforderungen der Reichskasse nicht kennt,
müssen derartige Verzichtsakte, auch wenn sie vom Kaiser ausgehen, für
unzulässig erachtet werden, es sei denn, daß Einzelgesetze ausdrücklich ein
anderes bestimmen. Übereinstimmend Laband 4 571, 572, a. M. und un-
richtig Joäl, AnnDR 1888 880 ff. und Dambitsch a. a. O. 351, 659, welche
die Verschiedenheit der staatsrechtlichen Stellung des Kaisers im Reich von
der des Königs von Preußen verkennen. Vgl. im übrigen die oben $ 178
Anm. m, $ 206 Anm. 2 und 9 angeführte Literatur, insbesondere, die
Schriften von Jo&l, Schwarz, Bellardi, Triepel, dazu noch Richter, ArchÖfR
5 570.
Justifizierende Kabinettsorders des Kaisers bedürfen, wie alle kaiser-
lichen Regierungsakte zu ihrer staatsrechtlichen Gültigkeit der Gegen-
zeichnung des Reichskanzlers. Ob diese Gegenzeichnung auch bei solchen
Justifikationen erforderlich sei, welche auf dem Gebiete der Militär-
verwaltung vorgenommen werden, ist zwischen den obersten Organen des
Reichs lange streitig gewesen. Die Reichsleitung hat früher, gestützt auf
die Tatsache, daß die Militär-, auch die finanzielle Militärverwaltung nicht
Reichs-, sondern Landesverwaltung ist (oben 8 196 S. 845 ff.), den Standpunkt
vertreten, daß das Recht zum Verzicht auf Einnahmen, welche dem Militär-
fiskus zustehen, nicht dem Kaiser, sondern den Kontingentsherren gebühre,
daß die Frage, ob der Verzicht ministerieller Gegenzeichnung bedürfe, nach
Landesstaatsrecht zu entscheiden sei und daß dem Reichskanzler eine ver-
antwortliche Mitwirkung bei solchen Verzichtsakten nicht zukomme. Im
Gegensatz hierzu hielt der Rechnungshof (zuerst in den Bemerkungen zur
allgemeinen Rechnung für das Etatsjahr 1882/83, Reichstagsdrucksachen
1885/86 Nr. 129; vgl. Dambitsch a. a. O. 351, Triepel, Reichsaufsicht 318)
allein den Kaiser für zuständig und die Gegenzeichnung des Reichskanzlers
für notwendig. Die Rechnungskommission des Reichstags schloß sich der
Ansicht der Reichsleitung, der Reichstag selbst der des Rechnungshofes an