Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

0934 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 212. 
rates nach Art. 76 Abs. 1 RV erstreckt sich nur auf Staatcen- 
streitigkeiten im strengen Sinne des Wortes: auf Streitigkeiten, 
welche zwischen Staaten als solchen, entstehen. „Bundesstaat“ im 
Sinne des Art. 76 ist nicht gleichbedeutend mit „Bundesfürst“ und 
fallen daher Streitfragen zwischen den Fürsten untereinander oder 
zwischen Fürst und Staat unter Art. 76 Abs. 1 nicht®.] 
Das Reich besitzt eine staatsrechtliche Jurisdiktion in 
bezug auf Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in 
deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung derselben 
bestimmt ist!‘, Derartige Streitigkeiten hat auf Anrufen eines 
Teiles der Bundesrat gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht 
gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu 
bringen. Zu den Verfassungsstreitigkeiten gehören Streitigkeiten 
zwischen Regierung und Landtag über Anwendung, Auslegung 
und Aufhebung von Verfassungsbestimmungen !!, sowie Thron- 
bedarf. Auch diese Behauptung trägt in den Art. 76 eine Beschränkung 
hinein, welche ihm fremd ist: der Bundesrat kann sich die Bestätigung des 
Spruches vorbehalten, muß es aber nicht, und der Spruch ist, wenn ein 
solcher Vorbehalt nicht erfolgt ist, kein Gutachten, sondern ein Urteil. Zu- 
stimmend in dem letzteren Punkte Scydel a. a. O, 406; auch im übrigen 
mit der hier vorgetragenen Meinung übereinstimmend: Thudichum, Verfass.- 
R. 110; Haenel, Staater. 1 575; v. Jagemann a. a. O. 217; Dambitsch a. a. O0. 
671, 672; Perels a. a. O. 39 ff.) 
? [Vel. namentlich Seydel an verschiedenen Stellen seiner oben N. 5 
zit. Abhandlungen; z. B. S. 174 ff, 225, 233, 241ff., 252; ebenso Laband 1 
274; Binding in der DJZ 4 69 ff.; Perels a. a. 0. 27. A. M. die Schaum- 
burgische Regierung im Bundesrate (vgl. Seydel a. a. 0. 174ff.; Kekule 
v. Stradonitz, ArchöffR 14 13ff.; v. Jagemann a. a. O. 218. — Ansprüche 
deutscher Landesherren auf die Thronfolge in einem andern Einzelstaate 
sind als solche keine Staatenstreitigkeiten im Sinne des Art. 76 Abs. 1, sie 
können freilich zu solchen werden, wenn durch Staatsvertrag oder Gesetz 
der streitige Anspruch nicht nur als persönlicher Anspruch des Fürsten, 
sondern als Anspruch des Staates konstituiert ist. Vgl. Perels a. a. O. 
27 ff.; Triepel in der Festschrift für Laband (1908) 331. Daß auch ohne 
solche besondere Rechtstitel (Vertrag oder Gesetz) die deutschen Einzel- 
staaten ohne weiteres nach völkerrechtlichen Grundsätzen befugt seien, 
Ansprüche ihrer Fürsten -— ebenso wie Forderungen ihrer Untertanen — 
zu den ihrigen zu machen, sich für diese Forderungen einzusetzen und so 
den Streit zwischen Individuum und Staat zu einer Staatenstreitigkeit zu 
stempeln A Jagemann a. a. O. 215), muß in Abrede gestellt werden. Vgl. 
die zutreffenden Ausführungen von Seydel a.a.0.173ff. Inwieweit Thron- 
folgestreitigkeiten unter den zweiten Absatz des Art. 76 RV fallen können, 
darüber s. u, N. 12] 
10 RVerf Art. 76. — Behörden der genannten Art bestehen im König- 
reich Sachsen, dem Großherzogtum Oldenburg, den Herzogtümern S.-Alten- 
burg und Braunschweig (vgl. $ 96 S. 301 N. 18), den mecklenburgischen 
Großherzogtümern (V. über die Erledigung von Streitigkeiten zwischen Re- 
ierung nnd Ständen vom 28. Nov. 1817) und den Freien Städten (vgl. $ 119 
. 470 N. 17, 18). Vgl. Perels a. a. O. 50 ff. 
11 Selbstverständlich sind unter den Streitigkeiten über Aufhebung von 
Verfassungsbestimmungen nur Rechtsstreitigkeiten dieser Art, z. B. Streitig- 
keiten darüber, ob die Aufhebung einer Verfassungsbestimmung zulässig 
war und die dafür erforderlichen Formen gewahrt sind, gemeint. G. Meyer 
ist daher von Seydel im Jahrbuch a. a. O. 290 N. 3 mißverstanden worden 
(Seydel behauptet, die Streitigkeiten über Aufhebung von Verfassungs-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.