Die Funktionen. $ 212a. 939
— ihrem Verkehr unter sich und mit ausländischen Staaten —
zu beaufsichtigen, um gegebenenfalls gegen Maßregeln einschreiten
zu können, welche geeignet sind, die Politik des Reiches zu
hemmen oder zu durchkreuzen oder sonst die Reichsinteressen zu
schädigen &.
Die hier in Rede stehende Aufsichtsgewalt ist ein Hoheits-
recht des Reiches gegenüber den Einzelstaaten. Sie hat also das
Dasein einzelstaatlicher Zuständigkeit zur Voraussetzung. Fehlt
es an einer solchen Zuständigkeit, indem das Reich ein bestimmtes
Sachgebiet nicht nur gesetzlich geregelt, sondern auch seiner
eigenen und unmittelbaren Verwaltung unterstellt hat (Marine,
Post und Telegraphie, Konsulatwesen), so bleibt für die reichs-
verfassungsmäßige Beaufsichtigung insoweit kein Raum; an deren
Stelle tritt die innerhalb des Reichsorganismus wirkende Dienst-
aufsicht der höheren Organe, an oberster Stelle des Kaisers
als des Leiters der eigenen und unmittelbaren Reichsverwaltung
(oben 478, 479), über die ihnen nachgeordneten Stellenh,
Die Reichsaufsicht ergreift innerhalb des oben bezeichneten
gegenständlichen Umfanges die gesamte Tätigkeit der Einzel-
staaten, auch die gesetzgeberischei, nicht minder die richterliche
(wiewohl ihr dieser gegenüber durch den Grundsatz der Unab-
hängigkeit der richterlichen Gewalt enge Grenzen gezogen sindk),
vor allem aber die vollziehende, verwaltende.
Die Frage, ob die beaufßsichtigende Tätigkeit des Reiches in
einem bestimmten Sachgebiet schon vor reichsgesetzlicher
Regelung desselben zulässig ist, ist zu bejahen. Die Reichs-
aufsicht erstreckt sich auf alle im Art. 4 RVerf aufgezählten An-
gelegenheiten, alle, ohne Unterschied, ob sie schon reichsgesetzlich
geregelt sind, oder ob das noch nicht der Fall istl. Es unter-
8 Triepel a. a. O. 367, 368 mit Zitaten, Thoma, Vhdlgn. d. 30. deutschen
Juristentages a. a. O. 71; Kiefer a. a. O. 40.
h Laband 1 109, 110; Triepel a. a. O. 155 ff. mit 146 ff.
i Triepel 487 ff. Das Reich hat darüber zu wachen, daß die Landes-
esetze mit der Verfassung und den Gesetzen sowie den Interessen des
eiches nicht im Widerspruch stehen. Im Aufsichtswege kann verlangt
werden, daß Landesgesetze, welche wegen Widerspruchs mit dem Reichs-
recht nichtig sind (oben $ 167 S. 715 ff), von dem betreffenden Einzelstaat
für nichtig erklärt, und solche, die, obne nichtig zu sein, dem Reiche schäd-
lich sind, zurückgenommen werden. , .
k Haenel, StR 319; Thoma a. a. O. 70, 71; Triepel 495 ff, Die Reichs-
aufsichtsinstanzen (s. u. $ 212b) sınd weder selbst befugt, noch können sie
von den Landesregierungen verlangen, sich durch Anweisungen und Befehle
an die Gerichte in den unabhängigen Gang der Rechtspflege einzumischen.
Ob es sich dabei um Gerichte handelt, deren Unabhängigkeit reichsgesetz-
lich gewährleistet ist (die ordentlichen Gerichte) oder landesgesetzlich (z. B.
Verwaltungegerichte), macht keinen Unterschied. Wie an der Unabhängig-
keit der Urteilsfällung, so findet die Reichsaufsicht eine Schranke an der
Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidungen: vgl. Thoma a. a. O. 70;
Triepel 504 ft. oo.
I Für die schon vor reichsgesetzlicher Regelung einer Materie sich
betätigende Reichsaufsicht hat Triepel 370, 411 ff, den Ausdruch „selbständige
Aufsicht“ geprägt, während er die Beaufsichtigung der schon reichsgesetz-