044 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 212b.
von der betreffenden, aber auch von einer dritten, im gegebenen
Falle unbeteiligten Einzelstaatsregierung beantragt werden.
2. Handelt es sich um ein aufsichtliches Einschreiten des
Reiches gegen die Tätigkeit eines Einzelstaates in einer reichs-
esetzlich noch nicht geregelten Materie, also um Handhabung
des „selbständigen“ * Aufsichtsrechts, so findet weder Art. 17 noch
Art. 7 Ziff. 3 Anwendung, denn in beiden Bestimmungen ist nur
die Rede von Mängeln, die bei der Ausführung von Reichsgesetzen
hervortreten; in dem hier vorgestellten Falle ist aber ein Reichs-
gesetz nicht .vorhanden. Da es auch sonst an ausdrücklichen
Vorschriften über das „selbständige“ Aufsichtsrecht fehlt, gilt
folgendes: dieses Aufsichtsrecht steht, wie jedes in der Reichs-
gewalt enthaltene, einem andern Reichsorgan nicht übertragene
Recht, kraft seiner trägerschaftlichen Stellung im System der
Reichsorgane, dem Bundesrate zu°® Sache des Bundesrates
n Vgl. oben Anm. a und $ 212a Anm. |.
o Ebenso Haenel 815; Seydel 61; Anschütz, Enzykl. 73; Hubrich, Preuß.
Staatsrecht (1909), 113; diese alle (auch Haenel, a. M. Triepel 535, 536) mit
der im Text gegebenen Begründung, also mit Bezugnahme auf die träger-
schaftliche Stellung des Bundesrates, aus welcher sich eine allgemeine Ver-
mutung der Zuständigkeit ergibt (vgl. über diese Stellung des Bundesrates
oben $ 120 8. 473, 475, 8 121 S, 477, 479; gegen die dort entwickelte An-
schauung jetzt Triepel ff.). Im Ergebnis mit dem Text übereinstimmend
auch Bornhak, Berliner Festgabe für Dernburg (1900), 120 ff., der aber in
der Begründung der Zuständigkeit des Bundesrates seine eigenen Wege
eht (über und gegen ihn Triepel 536), Abweichend Laband 1 113: die ım
t. 4 RVerf begründete Beaufsichtigung vor ergangenem Reichsgesetz
könne nur vom Kaiser ausgeübt werden, „denn sie gehört zu den Ge-
schäften der Reichsre ierung, also zu den dem Kaiser zustehenden Funk-
tionen“ (vgl. auch Laband I 256), Aber der Kaiser hat nur denjenigen
„Geschäften der Reichsregierung“ vorzustehen, welche ihm durch Verfassung
und Gesetz ausdrücklich übertragen sind, dies ist, was die Beaufsichtigung
der Einzelstaaten anlangt, nur insoweit geschehen, als es sich um die Über-
wachung der Ausführung der Reichsgesetze handelt, im übrigen nicht. —
Triepel (der, a. a. O. 542 ff., von der trägerschaftlichen Stellung des Bundes-
rates nichts wissen und ihm ebenso wie den anderen Reichsorganen nur
die durch Verfassung und Gesetz ausdrücklich übertragenen Kompetenzen
zugesteht) will die für die „abhängige“ Aufsicht (vgl. oben $ 212a Anm. |)
geltenden Zuständigkeitsnormen, Art. 17 u. 7 Ziff. 3 RVerf, auf die „selb-
ständige“ Aufsicht analog ausdehnen und demgemäß auch für die vor
reichsgesetzlicher Regelung einer Materie sich betätigende Aufsicht dem
Kaiser die Beobachtung, dem Bundesrate die Berichtigung zuweisen (a. a. O.
543, 544). Gegen die Berechtigung dieses Analogieschlusses hat sich schon
Haenel 315 mit m. E. überzeugenden und von Triepel nicht widerlegten
Gründen ausgesprochen. Im praktischen Effekt ist übrigens Triepels Auf-
fassung von der des Textes nicht sehr verschieden. Die Hauptfunktion der
Aufsichtsgewalt, das Recht der Berichtigung, steht auch im Bereiche der
selbständigen“ Aufsicht, nach dieser wie nach jener Auffassung dem
Bundesrate zu, desgleichen dem Kaiser bzw. der Reichsleitung das Recht,
beım Bundesrate den Erlaß eines Berichtigungsbeschlusses zu beantragen
(s. oben im Text und die nächste Anm.), Das Recht des Kaisers, die Einzel-
staaten lediglich zu „beobachten“ bzw. beobachten zu lassen, d, h. daraufhin,
ob sie ihre gesetzgeberische und verwaltende Tätigkeit im Einklang mit
den Reichsinteressen halten, bedarf überhaupt keiner besonderen gesetzlichen
Begründung. Der Unterschied zwischen der Triepelschen und der hier