Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Rechtsverhältnisse der Untertanen. $ 215. 949 
Gründen der öffentlichen Sicherheit oder weil sie der Armen- 
pflege zur Last fallen, des Landes zu verweisen und wegen be- 
angener Verbrechen an fremde Regierungen auszuliefern. Die 
bernahme der Ausgewiesenen ist eine völkerrechtliche Pflicht 
ihres Heimatsstaates. 
Bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes waren in dieser 
Beziehung auch für das Verhältnis der einzelnen deutschen 
Staaten zueinander lediglich die völkerrechtlichen Grundsätze 
maßgebend. Die Auslieferungspflicht hatte durch Bundesbeschlüsse 
vom 5. Juli 1832, 18. August 1836 und 26. Januar 1854! ihre 
Regelung gefunden. Die Übernahme ausgewiesener Personen 
richtete sich nach den Bestimmungen der Gothaer Konvention 
vom 15. Juli 1851, bei welcher alle deutschen Staaten mit Aus- 
nahme von Österreich, Holstein-Lauenburg und Liechtenstein be- 
teiligt waren. , 
Diese Verhältnisse änderten sıch mit der Gründung des Nord- 
deutschen Bundes. Art. 3 der Bundesverfassung stellte die 
Angehörigen anderer deutschen Staaten hinsichtlich des Wohn- 
rochtes im Staate den Inländern gleich. Das Freizügigkeits- 
esetz vom 1. November 1867 legte allen Bundesangehörigen 
die Befugnis bei, sich an jedem Orte des Bundesgebietes nieder- 
zulassen®, Da jedoch die Bestimmungen über die Armenversorgung 
von diesen Vorschriften nicht berührt wurden, so blieb die Mög- 
lichkeit bestehen, Staatsangehörige eines deutschen Staates, welche 
in einem andern deutschen Staate der Armenunterstützung ver- 
fielen, in den Heimatsstaat zurückzuweisen. In dieser Beziehung 
wurden die Bestimmungen der Gothaer Konvention ausdrücklich 
aufrechterhalten®, Erst durch das RG über den Unterstützungs- 
wohnsitz vom 6. Juli 1870 (oben 948) hat die Staatsangehörigkeit 
auch in dieser Beziehung ihre Bedeutung verloren. 
2. Dadurch ist an die Stelle des Wohnrechtes im Einzel- 
staate für alle Reichsangehörigen das Wohnrecht im Reichs- 
gebiete getreten. In bezug auf dieses Recht besteht kein Unter- 
schied zwischen den Angehörigen der einzelnen deutschen Staaten, 
sondern nur ein Unterschied zwischen Reichsangehörigen und 
Ausländern. 
Ausländer, d. h. solche Personen, welche nicht Reichs- 
angehörige sind, können: a) auf Verlangen einer fremden Regierung 
ausgeliefert werden, wenn sie im Auslande eine strafbare 
Handlung begangen haben. Einer Reihe von Staaten gegenüber 
hat das Deutsche Reich vertragsmäßige Verpflichtungen zur Aus- 
= 
1 G. v. Meyer, Corpus iuris confoederationis Germanicae 2 250, 347, 594. 
» RG über die Freizügigkeit vom 1. Nov, 1867 $ 1. Ein sorgfältiger 
Kommentar des Freizügigkeitsgesetzes findet sich bei Bazille und Köstlin, 
Das Recht der Staatsangehörigkeit mit besonderer Berücksichtigung Württem- 
bergs (1902), 276 ff. Vgl. ım übrigen G. Meyer-Dochow, VerwaltR (4. Aufl.) 111 ff. 
® RG über die izügigkeit $ 7. 
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