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jede „Lage“ des Ausgebeuteten genügt, um die Ausbeutung zum strafbaren
Wucher zu machen. Wie bedeutungsvoll gerade die Wahl dieses Ausdrucks ist,
wird denn auch in der Begründung zum Vorentwurf zu einem neuen Straf-
gesetzbuch, der an diesem Begriffsmerkmal festhält, mit Entschiedenheit
betont."s) „Notlage“ verlangt eine die wirtschaftliche Existenz bedrohende
Schwäche.:o0) Eine so geartete dringende Not ist aber bei den Opfern des
Kriegswuchers in der Regel nicht festzustellen. Das geminderte Angebot-
nötigt sie zu einem Geschäftsabschluß unter übermäßigen Aufwendungen.
Nicht die wirtschaftliche Schwäche der Käufer, sondern die ungünstige Lage
der Versorgungsverhältnisse läßt dem Verkäufer einen wucherischen Vorteil in
den Schoß fallen. Hier möchte man wohl von einer Zwangslage, nicht aber
von einer Notlage in der Bedeutung, die ihr nach feststehender Anschauung
zukommt, sprechen. Dabei ist auch zu beachten, daß sehr häufig der Käufer
sich nur deshalb zu dem ungünstigen Geschäftsabschluß veranlaßt fühlt, weil.
er irrigerweise glaubt, er könne die Ware nicht anders bekommen. Dann
handelt er aber lediglich in einer „eingebildeten“ Lage, die zur Begründung
des Wuchertatbestandes nicht genügt.-0)
Noch weniger wird in der Regel der Fälle eine gewerbs= oder gewohn-
heitsmäßige Ausbeutung des Leichtsinns der Käufer festzustellen sein.
Der Leichtsinn des Bewucherten besteht gerade darin, daß er den gegen-
wärtigen Vorteil nicht in ein richtiges Vorstellungsverhälknis zu dem zu-
künftigen Nachteil zu bringen vermagis') Eine subjektive. Disposition,
nämlich „eine leichte Auffassung der Zukunft, eine Vertrauensseligkeit, eine
Hoffnungsfreudigkeit“ bestimmt, wie sich in treffender Analyse dieses Seelen-
zustandes Finger::) ausdrückt, die Wesensart des Leichtsinnigen. Davon
kann aber gewiß nicht bei dem um sein leibliches Wohl besorgten Käufer von
Lebensmitteln im allgemeinen gesprochen werden.
Aber auch Unerfahrenheit wird nur selten das Motiv für den
Geschäftsabschluß des angeblich Bewucherten abgeben. Gewiß nicht, weil ihr
das Gebiet der Lebensmittel fremd ist, zahlt die Hausfrau beim Einkaufen
von Lebensmitteln in Kriegszeiten einen übermäßigen Preis. Sie schädigt
sich nicht, was das Charakteristische der Handlungsweise eines Unerfahrenen
18) S. Begründung zum Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Be-
sonderer Teil, 1909 S. 837.
10) IV. Senat vom 27. März 1896. Entsch. Bd. 28 S. 288 auf S. 290.
20) S. die in der vorigen Anmerkung zit. Entscheidung sowie. Urteil des
III. Senats vom 18. Juni 1885, Entsch. Bd. 12 S. 3083.
21) Bezüglich dieses Merkmals bemerkt Olshauss en zu § 302a sub. 10br.
„Leichtsinn ist nach dem Kommissionsbericht die rasche und. Unüberlegte Behandlung
von. Geschäften, insbesondere Geldgeschäften, also namentlich das Unbekümmertsein
om die Folgen.“ Übereinstimmend v. Liszt § 142 S. 488.
22) In seinem (österreichischen) Strafrecht, 2. Band, 2. Aufl. S. 317.