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zur Auslegung eines von einem Strafgesetz verwandten Begriffs
dient, wie etwa die Vorschriften des BG#B. über den Besitz, ist nicht Teil
des Strafgesetzes. Diese Vorschriften sind nicht im Hinblick auf ein Straf-
gesetz erlassen. Sie wollen vielmehr wie — um bei dem gewählten Beispiel
zu bleiben — die Vorschriften des BG#B. über den Besitz, in erster Linie zur
Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse dienen.
Soll ein Gesetz Teil eines Strafgesetzes sein, so ist zu erfordern: einer-
seits auf seiten des Strafgesetzes, daß es dieses andern Gesetzes bedarf, um
in der Lehre von der strafrechtlichen Rückwirkung, Strafrechtliche Abhandlungen,
herausgegeben von v. Lilienthal, Breslau 1915, dem Problem eine höchst
eindringliche und sorgfältige Monographie gewidmet, die allerdings im wesentlichen
zu unannehmbaren Resultaten gelangt. Käckell begeht denselben Fehler, der
oben in der Lehre vom Irrtum (s. oben S. 123) bei Lobe gerügt ist. Er unter-
stellt einen allgemein gültigen Strafgesetzbegriff, den er allerdings für die Zwecke-
seiner Arbeit zunächst in gründlicher Untersuchung entwickelt. Diese Untersuchung
trägt aber der speziellen Bedeutung, in der in der Vorschrift des § 2 Abs. 2 St GB.
der Strafgesetzbegriff begegnet, nicht hinreichend Rechnung, wobei Käckell auch
die dem § 2 Abs. 2 von der Rechtsprechung untergelegte ratio zu Unrecht durch zu
schorfe Hervorhebung einzelner vielleicht angreifbarer Wendungen (s. a. a. O.
S. 175) diskreditiert. Käckell lehnt es ausdrücklich ab, den Grund der Ge-
setzesänderung für die Beantwortung der Frage, ob eine Strafgesetzänderung im
Sinne des § 2 Abs. 2 vorliegt, zu verwerten (a. a. O. S. 177). Das macht es ihm
möglich, den von ihm entwickelten materiellen Strafgesetzbegriff (s. a. a. O.
S. 172, 188), der im weitgehendsten Maße alles einbezieht, was bei der Bestrafung
an gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen ist, dem § 2 Abs. 2 StGGB. zugrunde-
zu legen. So gehören denn auch nach seiner Ansicht auf dem Gebiet des Finanz-
strafrechts alle Vorschriften, welche die Abgaben im einzelnen bestimmen, zum Straf-
gesetz (a. a. O. S. 197). Welche Konsequenzen die Anwendung seiner Lehre auf
das Kriegswucherstrafrecht haben würde, ist danach unschwer zu erkennen. Die-
Annahme der Lehre Käckells würde eine vollständige Abkehr von den bisherigen,
nicht erst mit der Einführung des St G. begründeten Anschauungen der Recht-
sprechung bedeuten. Käckell lehnt denn auch (s. a. a. O. S. 63) die bisherige-
Rechtsprechung so ziemlich in Bausch und Bogen ab.
Käckells Ausführungen erscheinen mir, so interessant und scharfsinnig seine
Arbeit auch im einzelnen sein mag, geradezu ein Beleg dafür zu sein, daß es gerade
im Gegensatz zu seiner Auffassung unbedingt erforderlich ist, den Begriff des Straf-
gesetzes im § 2 Abs. 2 StGB. ausschließlich aus dem Sinn und dem Zweck dieser-
Vorschrift auszulegen. Tut man dies, so ist die Entscheidung denn auch keines-
wegs so kompliziert, wie z. B. Kohlrausch a. a. O. glaubt. Wer sich allerdings
auf einen unserm Gesetz unbekannten unverrückbar feststehenden Strafgesetzbegriff
verschworen hat, wird nie in dieser Frage zu klaren, praktisch brauchbaren Re-
sultaten gelangen. Das zeigt sich deutlich z. B. bei Binding, Grundriß, 7. Aufl.,
Leipzig 1907 S. 73, der ebenso wie Kohlrausch Steine statt Brot gibt, um
schließlich resigniert zu bekennen, daß „die Entscheidung im Einzelfall sehr zweifel-
haft sein kann“. Nicht anders steht es mit den Darlegungen eines anderen Normen-
theoretikers, den Ausführungen Fingers, in seinem Lehrbuch I. S. 144 ff., der,