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Unternehmungsgeistes begründeten Wagemut, der in richtiger Berechnung der
Bedürfnisse des Wirtschaftslebens die Ware für den Zeitpunkt bereitstellt, in
dem sie gebraucht wird. Fällt auf diese Weise dem Händler ohne Beeinflussung
der Marktlage ein vereinzelter Konjunkturgewinn in den Schoß, so darf man
ihm diesen als Ausgleich von auch in Kriegszeiten, namentlich bei der Über-
leitung in den Friedensstand unvermeidlichen Konjunkturverlusten, nicht miß-
gönnen. Vorausgesetzt immer, daß ein solcher Konjunkturgewinn „mit der
allgemeinen Kriegsnot und Preisbildung und dem Schutz der Verbraucher
gegen übermäßige Verkaufspreise nichts zu tun hat".“7) Tas ist aber der Fall,
wenn der einzelne Händler nur infolge weitblickender Voraussicht oder be-
sonders günstiger Einkaufsmöglichkeit sich in einer für ihn vorteilhasten Weise
rechtzeitig eingedeckt hat. Zicht er hieraus Nutzen, so tut er nichts, was ehr-
baren kaufmännischen Anschauungen widerspräche, zumal darin ein gerecht-
fertigter Ausgleich dafür liegen kann, daß auch für ihn das Angebot der
betreffenden Ware aufhört oder seine Absatzmöglichkeiten sich verringert haben.
Die Anschauungen des reellen Kaufmannstandes dürfen aber, da jedes Wucher-
gesetz zugleich ein Sittengesetz ist,“") für die Beurteilung des wucherischen
Charakters eines Geschäfts nicht außer Betracht bleiben. Auch die Begründung
zum Vorentwurf für ein neues Strafgesetzbuch berücksichtigt bei der Ab-
grenzung des Wuchertatbestandes ausdrücklich die „Auffassung der im Erwerbs-
leben tätigen Bevölkerungsklassen"“.ào)
f) Nicht nur zur Rechtsertigung einer Erhöhung der Aufschläge auf
den Gestehungspreis darf die Marktlage beachtet werden. Sie muß umgekehrt
unter Umständen auch zur Einschränkung eines Gewinnaufschlags
dienen: nämlich dann, wenn die Gestehungskosten des betreffenden Händlers
so hohe sind, daß die Hinzurechnung eines Gewinns nicht möglich ist, ohne
den Marktpreis um einen nicht gerade unerheblichen Betrag zu überschreiten.
Hier kann gerade mit Rücksicht auf die Marktlage ein sich im übrigen in den
Grenzen einer angemessenen Kalkulation bewegender Gewinn als ein „unver-
hältnismäßig hoher“ angesehen werden.50)
3. äà) Das Reichsgericht hat die Bedeutung der Marktlage für die
Frage des angemessenen Gewinns stark in den Hintergrund treten lassen.50)
27) Hierauf legt das den Tatbestand des Preiswuchers in verständiger Weise
beschränkende Urteil des I. Senats vom 31. Mai 1916, E. 50 S. 98 — Sächs Arch.
1916 S. 352 auf S. 353 -— JW. 1916 S. 1205 Nr. 26, entscheidendes Gewicht.
Wegen dieses Urteils und seines Verhältnisses zu verschiedenen Urteilen anderer
Senate des R. s. unten S. 72.
48) Deutlich bringt das der § 138 B#. dadurch zum Ausdruck, daß er in ein
und derselben Bestimmung den Wucher und den Verstoß gegen die guten Sitten
behandelt.
½) S. Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch. Begründung. Be-
sonderer Teil 1909 S. 836.
50) In dieser Beziehung ist das RG. in Konsequenz seines die Marktlage sast
völlig ignorierenden Standpunkts anderer Ansicht, s. IV. Senat vom 14. April 1916,
LZ. 1916. S. 800 Nr. 1 = JW. 1916 S. 1205 Nr. 28.
f50a) Im Gegensatz zum Kammergericht. S. Urteile des Kammergerichts vom