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In der Differenz zwischen Selbstkosten und Verkaufspreis erblickt es — ab-
gesehen von den im folgenden zu besprechenden Ausnahmefällen — nicht nur
den ausschlaggebenden, sondern man möchte fast sagen, den alleinigen Maßstab
der Preisbemessung. Insbesondere ist dies zu sagen von dem ersten zum Tat-
bestand des Preiswuchers ergangenen Urteil des III. Senats vom 14. Fe-
bruar 1916.51) Den im Preise enthaltenen übermäßigen Gewinn verbiete,
so erklärt das RE., die Verordnung. Dieser könne, so deduziert es weiter,
auch in einem dem Marktpreis entsprechenden Preise stecken. Die Marktlage
bezeichne nur eines der Verhältnisse, die bei Prüfung der Übermäßigkeit eines
Gewinns zu beachten seien. Die Marktlage berücksichtigen ist dem R. nicht
gleichbedeutend mit einem „Mit-dem-Marktpreis-gehen“". Nur den für den
individuellen Verkäufer in Hinblick auf seinen Selbstkostenpreis sachlich be-
gründeten Nutzen läßt das RG. gelten.
Der Hinweis des Gesetzes auf die Marktlage verliert bei dieser Inter-
pretation naturgemäß nicht nur jeden praktischen Wert, sondern auch jeden nur
irgendwie verständigen Sinn. Darüber dürfte doch kein Streit sein: die Markt-
lage für die Frage der Übermäßigkeit des Gewinns berücksichtigen kann nur
bedeuten, daß ein nach der Marktlage als vorteilhaft anzusehendes Angebot
den darin enthaltenen in concreto hohen Nutzen rechtfertigen kann. Welch
anderer Sinn darin liegen soll, sagt auch das RG. nicht. Denn mit dem Satz:
„die Marktlage bezeichnet nur eines der Verhältnisse, die bei Prüfung der
Übermäßigkeit eines Gewinns zu beachten sind“ wird weder klargelegt, wie
dieses Verhältnis anders als durch einen Vergleich des geforderten Preises
mit dem Marktpreise zu bestimmen ist, noch wie der vom Gesetz „insbesondere“
geforderten Berücksichtigung dieses Verhältnisses nach der Auffassung des RE.
21. November 1916, JW. 1917 S. 116; vom 26. Januar 1917, JW. 1917 S. 439;
vom 6. Juli 1917, L.Z. 1917 S. 1097. Der diesseitigen Bekämpfung des Stand-
punkts des RG. in den früheren Auflagen haben insbesondere zugestimmt v. Liszt
in JW. 1916 S. 1159, Liepmann in JIW. 1917 S. 518, Ad. Weber in Arch.
für Rechts= und Wirtschaftsphilosophie Bd. X S. 178. S. auch Schis fer in
DJ.Z. 1917 S. 348.
51) Entsch. Bd. 49 S. 398 = Recht 1916 S. 196 Nr. 411 -— L3.. 1916 S. 737
Nr. 3— DJ3. 1916 S. 538. Auf den Standpunkt des III. Senats stellte sich als-
bald der IV. Senat in einem Urteil vom 17. März 1916 in L.Z. 1916 S. 672 Nr. 3
— Sächs Arch. 1916 S. 181 ff. Auf demselben Standpunkt steht auch ein Urteil des
k. k. Obersten Gerichts als Kassationshofes vom 16. März 1915, mitgeteilt von
Warneyer im Säch'fArch. 1916 S. 58f. Dabei ist allerdings zu beachten, daß
die österreichische Verordnung vom 1. August 1914 die „Marktlage“ nicht besonders
berücksichtigt, und daß das höchstinstanzliche Urteil sich gerade darauf gründet, daß
der Marktpreis nicht mehr das Ergebnis eines regelmäßigen Verkehrs sei, sondern
ein durch die Willkür der Verkäufer bestimmter Preis (s. a. a. O. S. 59). Wo dies
zutrifft — der österreichische Kassationshof scheint der Ansicht zu sein, daß dies,
wenigstens in Osterreich, zur Zeit überall der Fall wäre —, kommt unser Text zu
einem gleichen Ergebnis. Daß eine generelle Nichtberücksichtigung des Marktpreises,
wie sie die Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofes fordert, sich indes
mit den Grundsätzen unserer Preis Steig VO. nicht vereinbaren laßt. sagt schon ihr
Wortlaut.