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Wie überall, wo eine sittenwidrige Handlung in Frage steht, können auch
hier nur die konkreten Umstände des einzelnen Falles 10) unter Berücksichtigung
der vorstehend entwickelten allgemeinen Gesichtspunkte die Entscheidung geben.
Es ist unmöglich, Geschäfte für gemeinsame Rechnung, den Leerverkauf „und
als dessen Haupterscheinungsform den Telephonhandel“ geradezu als Schul-
beispiele des Kettenhandels anzuführen. 11) Geschäfte für gemeinsame Rechnung
haben sogar mit dem Kettenhandel überhaupt nichts zu tun. Sie können den
Tatbestand des Preiswuchers ausmachen, wenn der Gesamtverdienst unter
Berücksichtigung der Unternehmerleistung der Sozien als ein „übermäßiger"“
anzusehen ist; sie können auch unter den noch im folgenden zu erörternden
Voraussetzungen den Tatbestand des Grunddelikts unserer Gesetzesvorschrift,
den einer unlauteren Machenschaft schlechthin, erfüllen. 12) Der Leerverkauf
kann beim Kettenhandel vorkommen, braucht aber keineswegs Kettenhandel zu
sein. Beim Fehlen der Ware ist der Händler, der mit gutem Grunde neue
Ware zu erlangen hofft, keineswegs gehindert, über diese im voraus zu dispo-
nieren. In all diesen Beispielsfällen verwirklichen sich also keineswegs unfehlbar
die charakteristischen Merkmale des Kettenhandels.
V. Täter des Kettenhandels kann der Verkäufer in gleicher Weise wie
der Aufkäufer sein. Wer die Ware an Personen verhandelt, die sich in der
soeben näher charakterisierten Weise zwecklos und unlauter in den Verteilungs-
prozeß einschieben, wirkt mit zur Schaffung einer Händlerkette und wird damit
Teilnehmer des Kettenhandels. Vorausgesetzt, daß er — darin erfüllt sich die
subjektive Seite der Tat — die von dem Aufkäufer beabsichtigte gemeinschafts-
widrige Funktion erkannte oder hätte erkennen müssen.13) Teilnehmer des
Kettenhandels wird aber nicht schon derjenige, der von einem Kettenhändler
die Ware kauft, um sie in reeller Weise dem Verbraucher zuzuführen. 11) Sein
Tun ist nicht illoyal im Sinne ehrbarer kaufmännischer Anschauungen. Die
Pönalisierung solcher Handlungsweise würde die Ware nur weiter dem Ketten-
handel verfangen sein lassen, was sicherlich nicht im Sinne des Gesetzes liegt. 15)
nach den von ihnen vertriebenen Spezialartikeln gruppieren — vornimmt, nicht
unbedingt ausgeschlossen. Das ist besonders für den Textilhandel zu beachten.
S. dazu Wassermann a. a. O.
10) Wegen des gleichen Standpunkts bei Feststellung des Tatbestands des
§ 826 BGB. s. die Kommentare zum § 826 BGB.
11) Das tut Falck a. a. O. 1. Aufl. S. 56 ff., 2. Aufl. S. 97 ff.
12) Der Wiederaufkauf aus dem Detailhandel, den Falck a. a. O. 1. Aufl.
S. 57, 2. Aufl. S. 99 weiter in diesem Zusammenhang aufführt, kann Kettenhandel
sein. Er wird aber unter Umständen auch der typischen Wesensart des Ketten-
handels entbehren und nur schlechthin als eine unlautere Machenschaft zu bezeichnen
sein. Er kann auch, wie die Ausführungen unten unter VI zeigen, möglicherweise
völlig unanfechtbar sein.
13) Wegen der Strafbarkeit der Fahrlässigkeit s. S. 110 ff. Wegen der zur
Begründung eines fahrlässigen Kettenhandels erforderlichen Momente s. S. 129 ff.
11) A. M. Falck a. a. O.
15) Da einen Aufkäufer — den die im Text unterstellten Zwecke bestimmen
— nicht die Absicht leitet, seinem Vormann die Vorteile seines-Vergehens zu
sichern, kann auch nicht Begünstigung im Sinne des § 257 St G. in Frage kommen.