Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

§ 55. Der Reichstag. 105 
setzt seine Geschäfte und Verhandlungen in derselben Weise und an 
derselben Stelle wieder fort, wo er vor der Vertagung aufgehört hat 
(Grundsatz der Kontinuität). 
Wenn der Reichstag auf unbestimmte Zeit vertagt worden ist, 
so bedarf es für seinen Zusammentritt kaiserlicher Berufung. 
Eine Vertagung über die Dauer der Legislaturperiode hinaus ist 
unstatthaft. RV. Art. 24. 
Keine Vertagung ist es, wenn der Reichstag sich selbst Ferien gibt. 
Vgl. Geschäftsordn. § 37. 
Die Schließung des Reichstages erfolgt am Ende der Session. Sie 
hat zur Folge, daß die bis zur Schließung nicht erledigten Vorlagen 
oder nicht zu Ende geführten Verhandlungen von dem neuberufenen 
Reichstag nicht weiter fortgesetzt werden können, sondern ganz von 
neuem wieder begonnen werden müssen, auch der neu berufene Reichs- 
tag sich erst wiederum konstituieren muß. (Grundsatz der Diskontinuität.) 
Um die Fortsetzung der nicht zu Ende geführten Verhandlungen auch 
nach Schließung des Reichstages zu ermöglichen, bedarf es besonderer 
gesetzlicher Maßnahmen. Ein derartiges Verfahren hat man bei den 
sog. Reichsjustizgesetzen eingeschlagen. § 1 des Gesetzes, betreffend 
die geschäftliche Behandlung der Entwürfe eines Gerichtsverfassungs- 
gesetzes, einer Strafprozeßordnung, einer Zivilprozeßordnung vom 
23. Dez. 1874 (RG. Bl. S. 194) bestimmt deshalb, daß die Reichs- 
tagskommission zur Vorberatung dieser Entwürfe ermächtigt sei, ihre 
Verhandlungen nach dem Schlusse der gegenwärtigen Session des 
Fsctes bis zum Beginn der nächsten ordentlichen Session fort- 
zusetzen. 
Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich. Wahrheits- 
getreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen 
des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. (St GB. 8 12.) 
Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Reiches 
(Val. Art. 4 RV.) Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen 
dem Bundesrate bezw. Reichskanzler zu überweisen. Die Legislatur- 
periode des Reichstages dauert fünf Jahre. (RG. 19. 3. 88.) Zur 
Auflösung des Reichstages während derselben ist ein Beschluß des 
Bundesrats unter Zustimmung des Kaisers erforderlich. In diesem 
Falle müssen innerhalb eines Zeitraums von 60 Tagen nach der 
Auflösung die Wähler und innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen 
nach der Auflösung der Reichstag versammelt werden. Ohne Zu- 
stimmung des Reichstages darf die Vertagung desselben die Frist von 
30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht 
wiederholt werden. Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mit- 
glieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang und 
seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung (Geschäftsordnung für den 
Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 12. 6. 68 mit den Ab- 
änderungen vom 17. 4. und 12. 5. 69, 12. 3. 70, 22. 5. 72 und 
9. 4. 74, neu redigiert am 10. Februar 1876) und erwählt seinen 
Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer. Der Reichstag 
beschließt nach absoluter Stimmenmehrheit. Zur Gültigkeit der Beschluß-
	        
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