124 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend
(RV. Art. 9 Hiernach steht dem Kaiser keine Gesetzgebungsmacht
im Deutschen Reiche (abgesehen von Elsaß-Lothringen) zu.
Die Initiative zur Gesetzgebung kann sowohl vom Bundesrate als
vom Reichstage ausgehen. In der Regel werden die erforderlichen
Vorlagen nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrates im Namen
des Kaisers an den Reichstag gebracht (RV. Art. 16).
Ist Übereinstimmung zwischen Bundesrat und Reichstag bezüglich
der Gesetzesvorlage erzielt, so ist damit der Gesetzesinhalt festgestellt.
Es bedarf sodann der Entwurf zunächst noch der Sanktion, d. h. der
Zustimmung des Bundesrats. Letzterer beschließt gleichzeitig, den
Entwurf zur Ausfertigung und Verkündigung an den Kaiser abzu-
geben. 1) Dem Kaiser steht nach RV. Art. 17 die Ausfertigung und
Verkündung der Reichgesetze zu. Das Recht der Ausfertigung besteht
in der Prüfung aller Formalien, welche dem Zustandekommen des
Gesetzes vorausgegangen sind, und der Identität des zu verkündenden
Gesetzestextes mit dem vereinbarten und sanktionierten. ) Wegen der
Unverantwortlichkeit des Kaisers übernimmt der Reichskanzler durch
seine Gegenzeichnung, die er nach RV. Art. 17 bei allen Anordnungen
und Verfügungen des Kaisers zu leisten hat, die Verantwortlichkeit
für die Authentizität des Gesetzestextes. — Nach dem Tage der Aus-
fertigung wird auch das Gesetz datiert.
Die Verkündung der Gesetze erfolgt durch den Kaiser mit Hilfe des
Reichskanzlers im Reichsgesetzblatt. Erst hierdurch erhalten die Gesetze
ihre verbindliche Kraft (RV. Art. 2). Sofern nicht in dem publizierten
Gesetze ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt
ist, beginnt die letztere mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf
desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetz-
blattes in Berlin ausgegeben worden ist.?) Für die Konsulargerichts-
bezirke währt diese Frist in Europa, Agypten und an der Küste des
Schwarzen und Mittelländischen Meeres zwei, sonst vier Monate (Kons.
Ger. Ges. vom 7. April 1900 (Rl. S. 213) § 30); die letztere gilt
auch für die Schutzgebiete (Schutzgebietsges. vom 25. Juli 1900
(Rl. S. 813) 8 3).
1) Streitig ist, ob die Sanktion und Publikation des Gesetzes noch während
derselben Reichstagssession oder wenigstens derselben Legis-
laturperiode verkündet werden müssen, oder ob die Verkündung noch nach
Wahl eines neuen Reichstages zulässig sei. Da über den Zeitpunkt der Sanktion
die Reichsverfassung keine Bestimmung enthält, so hat darüber der Bundesrat nach
pflichtmäßigem Ermessen zu befinden.
2) Wird etwas als Reichsgesetz vom Kaiser in anderer Fassung verkündet, als
vom Bundesrat und Reichstag beschlossen, so erlangt das Beschlossene Verbindungs-
kraft nicht, weil es nicht verkündet ist und das Verkündete nicht, weil es den An-
forderungen des Art. 5 nicht entspricht. Offenbare Schreib= und Druckfehler fallen
nicht hierunter. Vgl. Dernburg, BR. Bd. 1 § 22 S. 62f.
2) Diese Frist gilt auch für die im Auslande lebenden Deutschen. A. A. Laband,
Staatsr. 3. Aufl, S. 96, welcher zu der 14 tägigen Frist noch die Zeit hinzurechnen
will, welche nach den Umständen erforderlich ist, damit das betr. Gesetzblatt in das
Ausland gelangen kann. Hierfür fehlt im Gesetz jeder Anhalt.