Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

§ 71. Das Reichsbudgetrecht. 153 
Ist die Fertigstellung bezw. Annahme des Etats nicht mehr bis 
zum Beginn des Etatsjahres möglich, so pflegt man sich dadurch zu 
helfen, daß man für den folgenden Monat ½/12 der vorjährigen Etats- 
beträge festsetzt. Aber auch ohne dieses Hilfsmittel können not- 
wendige, von der Etatsfeststellung unabhängige oder dringliche Aus- 
gaben ohne Etat gemacht werden, ebenso wie die durch Gesetz fest- 
gelegten Einnahmen dauernd und unbeeinflußt vom Mangel eines 
Budgets der Reichskasse zufließen. 
Die Etatsfeststellung darf durch das Gesetz nur für 1 Jahr, nicht 
in demselben Gesetze für mehrere Jahre erfolgen. Dagegen ist es zu- 
lässig, den Etat für mehrere Jahre durch verschiedene Gesetze in 
einer Sitzungsperiode festzustellen. 
Die Bewilligung neuer Einnahmen, die Aufnahme von Anleihen 
(Art. 73 RV.) und die Verwendung von Einnahmen, welche aus der 
Veräußerung von Vermögensstücken des Reichs erzielt werden (Ges. 
v. 25. Mai 1873), bedürfen stets der Genehmigung des Reichstages. 
Allerdings ist bei Bewilligung von Ausgaben der Reichstag ver- 
pflichtet, die durch bestehende Gesetze und Einrichtungen notwendigen 
zu bewilligen bezw. für Deckung derselben durch Umlegung der 
Matrikularbeiträge Sorge zu tragen. 
Im übrigen unterliegt das Prüfungsrecht bezw. Ablehnungerecht 
des Reichstages bezüglich der anderen Ausgaben keiner Beschränkung. 
Darin zeigt sich der Schwerpunkt des Budgetrechts des Reichstages 
und die staatsrechtliche Bedeutung desselben. · 
Die Feststellung des Etats legt der Regierung nur bezüglich der 
etatsmäßigen Einnahmen, z. B. der Steuern, die Verpflichtung 
auf, dieselben zu erheben, dagegen kann die Erhebung von Einnahmen 
z. B. Aufnahme einer Anleihe, zu denen der Reichstag nur die nach- 
gesuchte Ermächtigung erteilt hat, sobald die Notwendigkeit wegfällt, 
unterbleiben. Außeretatsmäßige Einnahmen, die auf gesetzlichem 
DTitel z. B. Vertrag, Vermächtnis beruhen, können von der Verwaltung 
ohne weitere Bewilligung gemacht und brauchen nur zur Kenntnis des 
Reichstages gebracht zu werden. 
Bezüglich der Ausgaben gilt ähnliches. Soweit sie etatsmäßig und 
notwendig sind, müssen sie gemacht werden. Die Einstellung nicht not- 
wendiger Ausgaben kommt stets nur einer Ermächtigung gleich. Außer- 
etatsmäßige Ausgaben bedürfen stets der Genehmigung des Reichs- 
tages, doch darf letztere nicht verweigert werden, wenn es sich um not- 
wendige, aber unvorhergesehene, welche deshalb zur Zeit der Feststellung 
des Etats in diesem nicht berücksichtigt werden konnten, handelt. Bis 
zum Nachweise der Notwendigkeit trägt der Reichskanzler für diese 
Ausgaben die staatsrechtliche Verantwortlichkeit. 
Überschreitungen bei einzelnen Etatspositionen bedürfen nachträglicher 
Genehmigung des Reichstages; ist jedoch die Überschreitung infolge 
unabweislicher Ereignisse eingetreten, z. B. infolge von Preissteigerung, 
so genügt Mitteilung der Überschreitung und Angabe der Gründe an 
den Reichstag zwecks Prüfung.
	        
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