§ 2. Begriff des Staates. 5
worden ist. Die Frage, ob nur die im Inlande begangenen straf-
baren Handlungen nach dem inländischen Strafgesetz gestraft werden
sollen, wird verschieden beantwortet. Nach dem Territorialitäts-
prinzip (leges non obligant extra territorium) ist das Straf-
gesetz nur auf die im Inlande begangenen Delikte anwendbar. Nach
dem Personalitätsprinzip (quilibet est subditus legibus
Patriae suae et extra territorium) erstreckt es sich auf die im Aus-
lande aber nur vom Inländer begangenen strafbaren Handlungen.
Nach dem Prinzip der Weltrechtpflege, wonach im Anschluß an
H. Grotius, welcher das Recht zu strafen als ein natürliches solidarisches
Recht aller Staaten auffaßte, gefordert wird, daß alle an sich straf-
würdigen erheblichen Verbrechen, gleichviel wo, von oder an wem sie
begangen sind, im Inlande bestraft werden sollen, die vom Ausländer
im Auslande begangenen nach fruchtlosen Auslieferungserbieten an den
strafberechtigten fremden Staat. Den Gegensatz zu diesem Prinzip
bildet die Praxis von England und Nordamerika, welche weder einen
Ausländer noch einen Inländer wegen seiner im Auslande begangenen
Verbrechen bestraft. Ein zwischen diesen Extremen vermittelndes, vor-
wiegend dem Territorialprinzip sich zuneigendes System befolgt das
deutsche Reichsstrafgesetzbuch. Dasselbe gestattet eine strafrechtliche
Verfolgung der von Ausländern im Auslande begangenen Verbrechen
nur dann, wenn die Handlung eine hochverräterische Handlung gegen
das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat, ein Münzverbrechen, ein
Amtsdelikt oder ein Dynamitverbrechen ist.
Während die Vollstreckung ausländischer Strafurteile, ebenso wie die
Auslieferung eigener Staatsangehörigen an das Ausland grundsätzlich)
ausgeschlossen ist, gewähren sich die Staaten und deren Gerichte auf
Antrag Unterstützung in der Ausübung der Rechtspflege,
teils freiwillig gegen das Erbieten zu gleichen Gegendiensten, teils auf
Grund von Staatsverträgen (Jurisdiktions= und Auslieferungsverträge),
vorbehaltlich des Rechts, vor Erledigung einer Requisition die
Zuständigkei# des ersuchenden Gerichts zu prüfen.
Für die Ausübung der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit bildet
das Deutsche Reich ein einheitliches Rechtsgebiet..) Sämtliche
Territorien des Bundesgebiets gelten in Beziehung auf die Ausübung
der Gerichtsbarkeit dergestalt als Inland, daß jeder einzelne Staat
durch seine Gerichte die Gerichtsbarkeit innerhalb der durch die Reichs-
gesetze gezogenen Grenzen der Zuständigkeit über das ganze Bundes-
gebiet ausübt. Die Wirkungen der Rechtshängigkeit und der Rechts-
kraft treten nach § 19 des Rechtshilfegesetzes vom 21. Juni 1869
(Bel. S. 305) für das ganze Bundesgebiet ein, und jedes Gericht
kann ohne Rücksicht auf die Grenzen der Bundesstaaten die zum
Zwecke von Zustellungen und Ladungen, sowie die zur Vollstreckung
1) Eine Ausnahme macht England als Ersatz dafür, daß es infolge strenger
Anwendung des Territorialprinzips nur die auf seinem Gebiete begangenen Ver-
brechen straft.
:) Vgl. Gaupp-Stein, ZPO. Vorbem. 6 u. 7. Aufl. S. 15 unter VII.