Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

172 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches. 
Die Gewerbefreiheit stellt sich nur als Teil der allgemeinen 
persönlichen Freiheit dar, sie ist nicht ein selbständiges subjektives Recht 
(ogl. Kayser-Steiniger GO. 3. Aufl. Bemerk. 12 zu § 1). Niemand 
kann kraft der Gewerbefreiheit an der Ergreifung eines Gewerbes 
gewerbepolizeilich gehindert werden, sofern und soweit nicht die GO. 
oder besondere Reichsgesetze Ausnahmen gestatten. 
Damit fallen in bezug auf den Gewerbebetrieb die Unterscheidung 
zwischen Stadt und Land, die Ausschließung des gleichzeitigen Betriebes 
verschiedener Gewerbe, sowie desselben Gewerbes in mehreren Betriebs- 
oder Verkaufsstätten, die Beschränkung der Handwerker auf den Verkauf 
der selbstverfertigten Waren, das Recht der Zünfte und kaufmännischen 
Korporationen, andere von dem Betriebe eines Gewerbes auszuschließen 
(§8§ 2—4). Eine allgemeine Einschränkung im Staatsinteresse besteht 
nach § 5, indem in den Beschränkungen zur Zulassung des Betriebes 
einzelner Gewerbe, welche auf den Zoll-, Steuer= und Postgesetzen 
beruhen, nichts geändert wird. Derartige Betriebsschranken sind die 
§§ 119, 124 des Vereinszollges. vom 1. Juli 1869, ferner die die Be- 
steuerung des Gewerbes betreffenden Gesetze (Gewerbesteuerges. vom 
24. Juni 1891 (GS. S. 205), Kommunalabgabenges. vom 14. Juli 
1893 (GS. S. 152), Hausiersteuerges. vom 3. Juli 1876 (GS. S. 247), 
abg. durch Ges. vom 23. Dezember 1896 (GS. S. 273) und Ges. 
betr. die Warenhaussteuer vom 18. Juli 1900 (GS. S. 294). 
Post= und Telegraphenregal ist eingeführt worden durch Ges. über 
das Postwesen vom 28. Oktober 1871 (REl. S. 347), abg. durch 
Ges. vom 20. Dezember 1899 (REBl. S. 715) und durch Ges. über 
das Telegraphenwesen vom 6. April 1892 (REGBl. S. 467). 
Ausschließliche Gewerbeberechtigungen, Zwangs= und 
Bannrechte d. h. „die (in der Regel mit dem Besitz eines Grund- 
stücks verbundenen oder einem dauernden Gemeinwesen zustehenden) 
Befugnisse, von den Einwohnern eines bestimmten Bezirks oder gewissen 
Klassen derselben zu verlangen, daß sie die Anschaffung gewisser 
Bedürfnisse oder die Anfertigung gewisser Abeiten bei keinem anderen, 
als dem Berechtigten bewirken“ (so RG. Entsch. in Zivils. Bd. 39 S. 150), 
werden, wo sie noch bestehen, gemäß 8§ 7—9 aufgehoben oder für 
ablösbar erklärt. Dieselben können fortan nicht mehr erworben werden. 
Realgewerbeberechtigungen dürfen fortan nicht mehr begründet 
werden (§ 10). « 
Die Beseitigung bestehender gewerblicher Sonderrechte erschien teil- 
weise im öffentlichen Interesse geboten. Soweit dies zutraf, wurden 
sie aufgehoben. Lag nur ein privates Interesse für ihren Wegfall vor, 
so wurden sie für ablösbar erklärt. 
Im Rahmen der §§ 7 und 8 reichs= oder landesrechtlich ausgeschlossene 
Sonderrechte können weder durch Verleihung oder Verjährung noch 
durch Vertrag neu erworben werden. Vgl. BGB. §§ 134 und 344. 
Bezüglich des ablösbaren Zwangs= und Bannrechts, welches im 
Sinne der Gewerbeordnung als ein einheitliches Recht, dem in 
der Regel eine unbestimmte Mehrheit von Verpflichteten gegenübersteht, 
angesehen werden muß, ist anzunehmen, daß § 10 der Gew.-Ordn. 
  
 
	        
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