214 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
Zeit, insbesondere der erdrückenden Konkurrenz der Großindustrie nicht
gewachsen. Hinzu kam, daß die auf Freiwilligkeit beruhenden Innungen,
da nur ein kleiner Bruchteil der Handwerker sich ihnen anschloß, weder
die persönlichen Kräfte noch die finanziellen Mittel besaßen, um eine
allgemeine Besserung der Lage des Handwerks herbeizuführen. Ihre
Tätigkeit blieb vielmehr auf verhältnismäßig enge Grenzen beschränkt
und auch da, wo sie in größerer Zahl errichtet worden und weitere
Kreise des Handwerkerstandes ihnen beigetreten sind, haben sie die
Wirksamkeit, zu der sie an sich befähigt waren, nicht in vollem Maße
entfalten können, weil sie in ihrer derartigen Organisation des sicheren
Bestandes ermangelten, indem es jedem einzelnen Mitgliede in jedem
Augenblick unbenommen war, sich den Folgen ihm lästiger und seinen
unmittelbaren Interessen vielleicht zuwiderlaufender Beschlüsse und An-
ordnungen der Innung durch den Austritt zu entziehen. Es bestand da-
mit die Gefahr eines Niederganges des ganzen, einst so blühenden
Handwerkerstandes. Um diese Gefahr zu beseitigen, verfolgte bereits
das Gesetz von 1881 das Ziel, die Innungen wieder zu Organen der
gewerblichen Selbstverwaltung werden zu lassen, welche imstande seien,
einerseits durch die Förderung der gewerblichen Interessen ihrer Mit-
glüeder und durch die Pflege des Gemeingeistes und des Standes-
ewußtseins eine wirtschaftliche und sittliche Hebung des Handwerker-
standes anzubahnen und andererseits dem Staate geeignete Organe für
die Erfüllung wichtiger Aufgaben der Gewerbeverwaltung darzubieten.
Zu dem Ende wurden die Aufgaben der Innungen so bemessen, daß
ihnen ein ausgiebiges Feld der genossenschaftlichen Tätigkeit eröffnet
und zugleich diejenigen Rechte eingeräumt wurden, deren sie zu be-
dürfen schienen, um die statutarischen Vorschriften den einzelnen Mit-
gliedern gegenüber zur Geltung zu bringen und für ihren Kreis im
Wege der Selbstverwaltung gewisse gewerbegesetzliche Bestimmungen
u handhaben, deren Durchführung auf dem Gebiete des Kleingewerbes
für die Organe des Staates auf Schwierigkeiten gestoßen war. In
der Erkenntnis, daß manche den Innungen zugewiesene Aufgaben eine
befriedigende Lösung nicht finden können, solange nur die einzelnen
Innungen eine jede für ihren örtlich und sachlich begrenzten Kreis sie
zu erfüllen suche, wurden ferner die gesetzlichen Grundlagen für die
Bildung weiterer gewerblicher Verbindungen der Innungsausschüsse
und der Innungsverbände geschaffen. Endlich wurde schon damals
die Möglichkeit vorgesehen, solchen Innungen, welche in der Regelung
des Lehrlingswesens befriedigende Erfolge erzielen würden, die Be-
fugnis einzuräumen, die von ihnen auf diesem Gebiete geschaffenen
Anordnungen auch denjenigen Handwerkern des gleichen Gewerbes
gegenüber zur Geltung zu bringen, welche der Innung nicht beitreten
würden. Eine Erweiterung erfuhr diese Maßnahme durch die Novelle
zur Gewerbeordnung vom 18. Dezember 1884, die es ermöglichte,
unter der Voraussetzung des Vorhandenseins einer auf dem Gebiete
des Lehrlingswesens bewährt erfundenen Innung die Befugnis zum
Halten von Lehrlingen auf den Kreis der Mitglieder der Innung zu
beschränken. Weitere Schritte auf der so betretenen Bahn geschahen