Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

8 81. VIII. Gewerbliche Arbeiter (Gesellen, Gehülfen 2c.). 247 
3. Rechtlicher Charakter des Lehrvertrages. Die herrschende 
Meinung faßt den Lehrvertrag als selbständigen Vertrag auf. Wenn 
er auch begrifflich dem Werkvertrag des BG. (II, 7 Tit. 7) und 
inhaltlich bezüglich der analogen Anwendung vieler Vorschriften des 
Dienstvertrages des BGB. (II, 7 Tit. 6) diesem nahesteht, so enthält 
er doch soviel verschiedene und eigenartige, der GO. entstammende 
Bestimmungen, daß er nicht schlechthin einer dieser Vertragstypen unter- 
geordnet werden kann (vgl. Planck, BG. Vorbem. III, 5 zu Tit. 6; 
Neukamp im Verwaltungsarchiv 5, S. 209ff.; Kayser-Steiniger, 
Bem. 9 zu § 126). 
4. Halte= und Anleitungsrecht von Lehrlingen. Für das 
Halten, d. h. die Beschäftigung und die Anleitung, d. h. die Beauf- 
sichtigung und Unterweisung von Lehrlingen sind Einschränkungen ge- 
troffen, indem Personen, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen 
Ehrenrechte befinden, Lehrlinge weder halten noch anleiten dürfen (§126), 
sowie Personen, welche sich wiederholt grober Pflichtverletzungen gegen 
die ihnen anvertrauten Lehrlinge schuldig gemacht haben, oder gegen 
welche Tatsachen vorliegen, die sie in sittlicher Beziehung zum Halten 
und zur Anleitung von Lehrlingen ungeeignet erscheinen lassen, die 
Befugnis zum Halten und zur Anleitung von Lehrlingen, und Per- 
sonen, welche wegen geistiger und körperlicher Gebrechen zur sachgemäßen 
Anleitung eines Lehrlings nicht geeignet sind, die Befugnis zur An- 
leitung von Lehrlingen durch Verfügung der unteren Verwaltungs- 
behörde entzogen werden kann (§ 126 a). In Preußen ist gegen die 
Verfügung Klage beim Kreis= (Stadt-) Ausschusse binnen 2 Wochen 
zulässig, gegen dessen Entscheidung binnen derselben Frist Berufung 
beim Bezirksausschuß gegeben ist, welcher endgültig entscheidet. 
5. Der Lehrvertrag. Schriftlichkeit des Lehrvertrages ist be- 
grifflich nicht notwendig, doch sucht das Gesetz durch mehrfache Be- 
stimmungen (88 127 d, 127f) auf die schriftliche Vollziehung hin- 
zuwirken. In Preußen kann der Lehrherr zum schriftlichen Abschlusse 
gemäß Abs. 2 § 126b von der Ortspolizeibehörde zwangsweise an- 
gehalten werden. 
Bei schriftlichem Abschluß des Lehrvertrages muß derselbe einen 
gesetzlich bestimmten Inhalt haben. Er muß enthalten Angabe des 
Gewerbes und des Zweiges der Ausbildung, Dauer der Lehrzeit, 
gegenseitige Leistungen, der gesetzlichen und sonstigen Voraussetzungen 
zur einseitigen Auflösung des Vertrages. 
Der schriftliche Abschluß des Lehrvertrages hat binnen 4 Wochen 
nach Beginn der Lehre zu erfolgen, ist kosten= und stempelfrei und ist 
auf Erfordern der Ortspolizeibehörde einzureichen. Er ist unterschriftlich 
von den Beteiligten (Lehrherrn bezw. Stellvertreter, Lehrling und ge- 
setzlichem Vertreter des Lehrlings) zu vollziehen. Ein Exemplar des 
Vertrages erhält der gesetzliche Vertreter des Lehrlings (§ 126 b). 
Außer dem in § 126b bestimmten notwendigen Vertragsinhalt 
können sowohl die Innungen (88§ 81 àa Ziff. 3, 93 Ziff. 5, 100c, 
103 f Abs. 2), als auch die Handwerkskammer nach § 103e Ziff. 1 
den Inhalt des Lehrvertrages näher regeln.
	        
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