Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

276 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches. 
Man wird bei dieser neuen Gestaltung der Fürsorge für gewisse 
Berufsstände mittels der drei Arten der Versicherung, Kranken-, 
Unfall= und Alters= und Invalidenversicherung, wenn auch die Mittel. 
und Wege zur Verwirklichung der gesteckten Ziele, abgesehen von den 
verschiedenen Zwecken der ins Leben gerufenen Rechtsinstitute, inhaltlich 
verschieden gestaltet sind, doch nicht verkennen dürfen, daß für sämtliche 
Versicherungseinrichtungen die gleichen rechtlichen Erwägungen und 
Rechtsgrundsätze maßgebend sind. — 
DieAnsichtenhierübersindzwarverfchieden.Dieeinen1)wollen 
die privatrechtlichen Grundsätze des Versicherungsrechts auch für das 
öffentliche Recht in der Weise für maßgebend erklären, daß die Be- 
gründung des Rechtsverhältnisses ohne Vertrag kraft Gesetzes eintrete, 
während andere?) in der Arbeiterversicherung lediglich eine unmittelbar 
kraft Gesetzes eintretende öffentliche Fürsorge sehen. Eine Mittel- 
meinung ?) spricht sowohl dem Begründungsakt als dem Inhalt der 
Arbeiterversicherung einen einheitlichen juristischen Charakter ab. 
Zur Feststellung des Wesens dieser an sich verschiedenen Versicherungs- 
arten wird davon auszugehen sein, daß bei allen ein staatlicher Ver- 
sicherungszwang, eine vom Willen des einzelnen Versicherten und da- 
mit auch von einer privatrechtlichen Willensübereinstimmung unab- 
hängige Fürsorge für alle diejenigen, welche nach dem Gesetz als der 
Zwangsversicherung unterliegend anerkannt werden, die Grundlage der 
Versicherung bildet. Für diese Art der Versicherung sind lediglich 
öffentlich rechtliche Gesichtspunkte maßgebend. Insoweit sind auch die 
zur Durchführung des Versicherungszwanges geschaffenen Organe 
Korporationen und Anstalten des öffentlichen Rechts. Verschieden 
hiervon ist die Rechtslage und Rechtsstellung der nur für beitritts- 
berechtigt erklärten Personen (freiwillige Selbstversicherung). Die 
Versicherung dieser unterliegt im wesentlichen privatrechtlichen Grund- 
sätzen, insbesondere den zivilrechtlichen Bestimmungen über das Zustande- 
kommen eines Vertrages. Während die Entstehung der Zwangsver- 
sicherung kraft Gesetzes eintritt, sofern die Voraussetzungen desselben, Be- 
schäftigung in einem versicherungspflichtigen Betriebe, vorliegen, bedarf 
dagegen die freiwillige Versicherung der übereinstimmenden Willens- 
erklärung beider Teile, mithin des Vertrages. Wenn auch eine Zurück- 
weisung der für beitrittsberechtigt erklärten Personen ausgeschlossen 
ist, so ist trotzdem eine Willenserklärung des Beitrittsberechtigten und 
1) So Menzel im Archiv f. bürgerl. RF. Bd. 1 S. 337 ff.; in Grünhuts Zeitschr. 
Bd. 18 S. 310; Lewis, Lehrbuch des Versicherungsrechts, Leipzig 1889, S. 18 ff.; 
Köhne in der Zeitschr. f. Handelsrecht Bd. 37 S. 116 ff.; Dernburg, Preuß. Privatr. 
h Bd. 2 S. 746 ff.; Goldschmidt, System des Handelsrechts, 3. Aufl., 
*) So Pröbst in Hirts Annalen, 1888, S. 324 ff.; Laband, StR. des deutsch. 
RK., Bd. 2 S. 245 ff.; Rehm im Archiv f. öffentl. R., Bd. 5 S. 529 ff.; Rosin, 
Recht der Arbeitervers. Bd. 1 S. 256 ff.; Lewis a. a. O. S. 346, 353 bezügl. 
der Unfall-, Inv.= und Altersvers., Seydel, Bayr. Staatsr. Bd. 5 S. 252; 
Zorn u. a. m. 
*) Besonders vertreten von Bornhak in d. Zeitschr. f. Handelsr., 1891, Bd. 89 
S. 216; Deutsches Arbeiterrecht (Separatabdruck aus bitts Annalen), 1892, S. 8 ff. 
und Deutsche Sozialgesetzgebung, 1894, 3. Aufl., S. 21 f.
	        
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