18 1. Buch. 1. Abschnitt. Staatsrechtliche Grundlagen.
I) Verantwortlichkeit des Gesamtministeriums. Die Gegenzeichnung
ist nicht vorgeschrieben und in der Praxis nicht immer erfolgt. Für
das Erfordernis der Unterzeichnung seitens sämtlicher Minister spricht
Art. 44, weil hiernach der Minister die Verantwortlichkeit für die
Negierungsalte dadurch übernimmt, daß er dieselben gegenzeichnet.
) Die Verordnung darf nicht der Verfassung zuwiderlaufen, dem-
nach insbesondere nicht Bestimmungen der Verfassung aufheben. Wohl
aber können Gesetze durch Notverordnung außer Kraft gesetzt werden,
z. B. Verordnung vom 12. Mai 1866, welche die Wuchergesetzgebung
(Ges. vom 14. November 1867) aufhob.
e) Ist eine Notverordnung ergangen, so muß sie der Kammer bei
dem nächsten Zusammentritt vorgelegt werden. Wird die Genehmigung
versagt, so hört ihre Wirksamkeit nicht ipso jure auf, wie manche
annehmen, sondern dieselbe muß ausdrücklich aufgehoben werden; denn
der ablehnende Beschluß der Kammern kommt den Behörden nicht
amtlich zur Kenntnis. Nur die Publikation durch die Staatsregierung
bildet wie für die Behörden, so für die Untertanen die gesetzlich vor-
geschriebene Art der Kenntnisgabe.
Derartige Notverordnungen sind in Preußen ergangen:
a)Verordnung vom 10. Juni 1871, betreffend die Ermächtigung
der Preuß. Bank, in Elsaß und Lothringen Kommanditen einzurichten.
Diese Verordnung ist nach Ablehnung der Kammern förmlich zurück-
genommen worden.
6) Zensurverordnung vom 30. Juni 1863 (jede Zeitung soll ein
Exemplar der Regierung einsenden). Diese Verordnung ist 1 Stunde
vor Zusammenkunft der Kammern zurückgezogen worden, da sie als
der Verfassung widersprechend erachtet wurde.
7) Statut über die Einverleibung von Lauenburg.
) Verordnung, betreffend die Einführung der Salz= und Brannt-
weinsteuer im Jadegebiet.
Die preußische Verfassung kann nicht durch Notverordnungen, sondern
nur durch ordentliches Gesetz abgeändert werden. Die Kammern be-
schließen über eine Verfassungsänderung mit absoluter Mehrheit. Je-
doch sind zwei Abstimmungen vorgeschrieben, welche 21 Tage ausein-
ander liegen müssen (Art. 107 Vl.).
8. Wird der Belagerungszustand erklärt, können einzelne
Artikel der Verfassung (Art. 6, 7, 27, 28, 29, 30, 36) außer Kraft
gesetzt werden.
In Kriegszeiten zum Zwecke der Verteidigung und in Kriegs= oder
Friedenszeiten im Falle eines Aufruhrs, welcher die öffentliche Sicher-
heit erheblich gefährdet, kann der Belagerungszustand erklärt werden
(Ges. vom 4. Juni 1851 GS. S. 451). Die Wirkung des Belagerungs-
zustandes besteht
a) in der Suspension von bestimmten Freiheitsrechten, nämlich
den Bestimmungen über persönliche Freiheit, über Bedingungen der
Verhaftung, über Unnverletzlichkeit der Wohnungen, über Haussuchungen
und Beschlagnahmen, über Rede= und Preffreiheit, über Vereins= und
Versammlungerecht;