290 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
Ist dagegen eine Kasse für einen dritten irrtümlicher Weise ein-
getreten und will hieraus Erstattungsansprüche herleiten, so kann dies
nur im ordentlichen Rechtswege geschehen. Vgl. v. Brauchitsch Bd. 6
Anm. 8 zu § 58 KVG. S. 134 und die dort zitierte Entsch. des
OVG. vom 22. April 1895. «
Vorstehende Bestimmungen des KVG. sind nicht anwendbar bei
Streitigkeiten zwischen Knappschaftskassen und ihren Versicherten, zwischen
diesen und den Arbeitgebern, zwischen freien Hülfskassen und ihren Mit-
gliedern. Für letztere ist nur der ordentliche Rechtsweg gegeben, sofern
nicht statutarisch oder landesrechtlich ein schiedsgerichtliches Verfahren
vorgesehen ist. Bei den vorerwähnten Streitigkeiten der Knappschafts-
kassen entscheiden die nach Landesrecht zuständigen Aufsichtsbehörden.
Achter Titel.
Unfallversicherung.)
8§8 86. Bedentung und geschichtliche Entwicklung der
Reichsgesetzgebung.
1. Bedeutung der Unfallversicherung. Eine naturgemäße
Fortentwicklung der der Krankengesetzgebung zugrunde liegenden öffentlich-
rechtlichen Fürsorge für die kapitalsarme im Gewerbebetrieb tätige
Arbeiterbevölkerung ist die vom Deutschen Reich ins Leben ge-
rufene Unfallversicherung, welche auf öffentlicher Grundlage Ersatz
des Schadens bezweckt, welchen der Arbeiter infolge eines Betriebs-
unfalls auch über die Dauer der Krankenversicherung hinaus erleidet. Da
nur etappenweise den weitgesteckten Zielen dieser Fürsorge entsprochen
werden konnte, sind eine Reihe von Gesetzen notwendig gewesen, um
allmählich diese Fürsorge auf immer weitere Berufszweige auszudehnen.
2. Geschichtliches. Vorbemerkung. Gegen die besonderen
Unfallgefahren des modernen Transport= und Fabrikbetriebes richtete sich
bereits das Reichshaftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871 (Rl. S. 207),
dessen Vorläufer das preußische Gesetz über die Eisenbahnunter-
nehmungen vom 3. November 1838 (GS. S. 505) ist. Bereits letzteres
Gesetz erklärte die Eisenbahnunternehmungen zum Ersatze verpflichtet
für allen Schaden, welcher bei der Beförderung auf der Bahn, an den
auf derselben beförderten Personen und Gütern, oder auch an anderen
Personen und deren Sachen, entsteht, und sie kann sich von dieser Ver-
pflichtung nur durch den Beweis befreien, daß der Schaden entweder
durch die eigene Schuld des Beschädigten oder durch einen unab-
wendbaren äußeren Zufall bewirkt worden ist. Die gefährliche Natur
der Unternehmung selbst ist als ein solcher, von dem Schadenersatz
befreiender Zufall nicht zu betrachten (§ 25 des zit. Ges.). Auf der
Grundlage dieses preußischen Gesetzes baute das Reichshaftpflichtgesetz
weiter. Die Geltung des § 25 des preußischen Gesetzes ist aber in-
1) Literatur: C. Graef, Die Unfallversicherungsgesetze. 4. Aufl. Berlin 1905;
Handbuch der Unfallversicherung. Neue Ausgabe. Leipzig 1901; E v. Woedke, Unfall-
versicherungsges 5. Aufl. Bearbeitet von F. Caspar. Berlin 1901; F. Hoffmann, Gewerbe-
unfallversicherungsgesetz pp. 3. Aufl. Berlin 1906; v. Brauchitsch (Hoffmann), Die
neuen preuß. Verwaltungsgesetze. Bd. 6. 3. Aufl. Berlin 1902. S. 213 ff.