Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

§ 106. VII. Die Sonderrechte der Militärpersonen. 335 
(6§ 752; 790; 811 Ziff. 7; 850 Ziff. 5, 6, 7, 8; 904 Ziff. 2; 
905 Ziff. 2; 912 ZPO. RMG. 45 und Ges. vom 22. Mai 1893 
NGBl. S. 171 Art. 18.) 
3. In strafrechtlicher Beziehung gilt für alle militärischen 
Verbrechen und Vergehen das Reichsmilitärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 
1872. Strafbare Handlungen von Militärpersonen, die keine militärischen 
Verbrechen und Vergehen sind, unterliegen dagegen dem allgemeinen 
Reichsstrafgesetzbuche. Soweit das Militärstrafgesetzbuch Anwendung 
findet, ist die Anwendung der allgemeinen Strafgesetze auf Militär- 
personen ausgeschlossen. Als Strafen kommen nach dem MStWG. in 
Betracht Todesstrafe, die durch Erschießen vollstreckt wird (MStG#. 
8§14), Freiheitsstrafen bis zu sechs Wochen, als Stuben-, gelinder, mitteler 
oder strenger Arrest; darüber hinaus als Gefängnis= und als Festungs- 
haft (MStGB. §§ 15—29) und Ehrenstrafe (Entfernung aus dem 
Heere, Dienstentlassung, Degradation gegen Unteroffiziere, Versetzung 
in die zweite Klasse gegen Unteroffiziere und Gemeine) (MStGB. 
88 30—42.). — 
Bezüglich des Verfahrens bei Strafsachen besteht jetzt eine besondere 
Militärgerichtsbarkeit (Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898, 
NRGl. S. 1189; dazu EG. vom 1. Dezember 1898, REl. S. 1289). 
Der Militärgerichtsbarkeit unterstehen alle Militärpersonen des aktiven 
Heeres und der Flotte, sowie die zur Disposition gestellten Offiziere 
und Sanitätsoffiziere, die Angehörigen des Beurlaubtenstandes nur 
in beschränktem Maße. 
Die Gerichtsbarkeit gliedert sich in die niedere für Übertretungen 
und die nur mit Arrest bedrohten militärischen Vergehen der nicht im 
Offiziersrange stehenden Personen und in höäöhere für alle übrigen 
Straftaten. Die niedere Gerichtsbarkeit wird von den Standgerichten, 
welche mit drei Offizieren besetzt sind, die höhere von den bei den 
Divisionen gebildeten Kriegsgerichten (ein Kriegsgerichtsrat und vier Offi- 
ziere) wahrgenommen. Berufung findet statt gegen die standgerichtlichen 
Urteile an die Kriegsgerichte und gegen deren erstinstanzliche Ent- 
scheidungen an die bei den Generalkommandos gebildeten, mit zwei Ober- 
kriegsgerichtsräten und fünf Offizieren besetzten Oberkriegsgerichte. 3 
Revisionen besteht das Reichsmilitärgericht in Berlin. Uber dessen 
Organisation s. S. 123. 
Das Verfahren ist im wesentlichen das der bürgerlichen Strafprozeß= 
ordnung, soweit es mit den militärischen Grundsätzen bezüglich der 
Manneszucht und Disziplin und sonstigen allgemeinen militärischen 
Interessen vereinbar ist. 
Die Grundlage des Verfahrens bildet ein öffentliches und münd- 
liches Verfahren. Das Anklageprinzip liegt demselben zugrunde. Außer 
den auch im bürgerlichen Strafprozesse vorgesehenen Fällen des Aus- 
schlusses der Offentlichkeit für die Verhandlung kann hier aber auch aus 
militärdienstlichen Interessen jederzeit die Offentlichkeit ausgeschlossen 
werden. Die Verteidigung ist unbeschränkt; Rechtsanwälte werden je- 
doch nur in beschränktem Maße zugelassen. Die Beweisaufnahme 
 
	        
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