Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

374 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches. 
Sechzehnter Titel. 
Die reichsgesetzliche Regelung der Medizinal= und 
Veterinärpolizei. 
8 128. I. Medizinalpolizei. 1 
Gemäß Art. 4 Nr. 15 RV. hat die Reichsgesetzgebung, die nicht bloß 
die Beseitigung von Krankheiten, sondern auch die Verhütung solcher 
umfaßt, folgende Maßnahmen getroffen: 
a) Zur Bekämpfung und Verhütung ansteckender und 
gemeingefährlicher Krankheiten (Seuchen) im internationalen 
Verkehr dienen vornehmlich die internationalen Abkommen über die Maß- 
regeln gegen die Cholera, vom 15. April 1893 (RBl. 1894 S. 343), 
gegen Einschleppung und Verbreitung der Pest vom 19. März 1897 (RGl. 
1900 S. 43) mit Deklar. vom 24. Januar 1900 (RGBl. S. 821). 
Innerhalb des Deutschen Reichs gilt das Res., betreffend die 
Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 
(Rel. S. 306) mit Ausf. Verordn. vom 4. Oktober 1900 (RGBl. 
S. 849, betreffend Pest) und 21. Februar 1904 (RGBl. S. 67). 
Eine Anzeigepflicht bei der Polizeibehörde besteht nach diesem 
Gesetze bei jeder Erkrankung und jedem Todesfall an Aussatz 
(Lepra), Cholera (asiatischer), Fleckfieber (Flecktyphus), Gelbfieber, 
Pest (orientalischer Beulenpest), Pocken (Blattern). 
Die Polizei hat sofort die nötigen Ermittelungen anzustellen und 
Schutzmaßregeln zu ergreifen. Es können polizeilich Absperrungs= 
und Aussichtsmaßregeln angeordnet werden. Für Gegenstände, welche 
zu Desinfektionszwecken vernichtet oder beschädigt werden, wird aus 
öffentlichen Mitteln Entschädigung gewährt. 
b) Im Interesse der Gesundheit des Volkes. 
a)Das RG. über das Impfwesen vom 8. April 1874 (RGl. 
S. 31). Nach diesem Gesetz ist im ganzen Reiche der Impfzwang 
eingeführt. Es müssen geimpft werden alle Kinder vor Ablauf des 
zweiten Lebensjahres, alle Schüler im 12. Lebensjahr. Bleibt die 
Impfung erfolglos, so ist sie im folgenden und dritten Jahr zu wieder- 
holen. Zur Impfung sind nur Arzte befugt. Bei Pockenepidemien 
kann eine Zwangsimpfung angeordnet werden. 
6) Die Lebensmittelpolizei. Hier ist in erster Linie zu nennen: 
R., betr. den Verkehr mit Nahrungs-, Genußmitteln und Gebrauchs- 
gegenständen vom 14. Mai 1879 (RGl. S. 145) mit Abänderung 
vom 29. Juni 1887 (REl. S. 276). Danach unterliegt der polizei- 
lichen Aufsicht der Verkehr mit Nahrungs= und Genußmitteln, sowie 
mit Spielwaren, Tapeten, Farben, Eß-, Trink= und Kochgeschirr und 
mit Petroleum. Die Polizei ist befugt, in die Räumlichkeiten, in 
welchen derartige Gegenstände feilgeboten werden, während der Ge- 
schäftszeit einzutreten, Kostproben zu entnehmen. 
In Ergänzung hierzu sind zu nennen das R. über die Verwendung 
gesundheitsgefährlicher Farben bei Herstellung von Nahrungs= und 
1) Literatur: Markull, Gesetz betr. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 
Berlin 1906. 
 
	        
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