Der Eröffnung ging ein Gottesdienst voraus, und zwar für die Mitglieder der
evangelischen Kirche um 12 Uhr im Dom. Für die Mitglieder der katholischen
Kirche wurde um 12½ Uhr in der St. Hedwigslirche eine Segensandacht gehalten.
Nach der lirchlichen Feier versammelten sich die Abgcordneten zum Reichstage
im Weißen Saale und nahmen daselbst in dem mittleren, dem Throne gegenüber
belegenen Kaume Aufstellung.
Sobald die Abgcordneten zum Reichskage versammelt waren, erschienen unter
Bortritt des Reichskanzlers die Bevollmächtigten zum Bundescat und siellten sich
links vom Thron auf.
Auf die Meldung des Reichskanzlers Dr. v. Zethmann Hollweg begab sich
Seine Masestät der Kaiser in den Weißen Saal, wurde von der Bersammlung
mit dreimaligem Hoch empfangen, das der bisherige Prästbent des Feichstags
Dr. Kaempf ausbrachte, und nahm vor dem Thron Stellung.
Hierauf geruhten Seine Majestät, aus der Haud des Reichskanzlers Dr.
v. Zethmann Hollweg die Thronrede entgegenzunehmen und, das Haupt mit dem
Helm bedeckt, zu verlesen:
Geehrte Herren!
In schicksalsschwerer Stunde habe Ich die gewählten Vertreter des deutschen
Volkes um Mich versammelt. Fast ein halbes Jahrhundert lang konnten wir
auf dem Weg des Friedens verharren. Versuche, Oeutschland kriegerische
Neigungen anzudichten und seine Stellung in der Welk einzuengen, haben unseres
Volkes Geduld oft auf harte Droben gestellt. In unbeirrter Redlichkeit hat
Meine Regierung auch unter herausfordernden Umständen die Entwicklung aller
sittlichen, geistigen und wirtschaftlichen Kräfte als höchstes Ziel verfolgt. Die
Wett ist Zeuge gewesen, wie unermüdlich wir in dem Drang und den Wirren
der lehten Jahre in erster Reihe standen, um den Bölkern Europas einen Krieg
zwischen den Großmächten zu ersparen.
Dle schwersten Gefahren, die durch die Ereignisse am Balkan heraufbeschworen
waren, schienen überwunden. Da tat sich mit der Ermordung Meines Freundeo,
des Erzherzogs Franz Ferdinand, ein Abgrund auf. Mein hoher Verbündeter,
der Kaiser und König Franz Josef, war gezwungen, zu den Waffen zu greifen,
um die Sicherheit seines Reichs gegen gefährliche Umtriebe aus einem Nachbar-
staat zu verteidigen. Bei der Verfolgung ihrer berechtigten Interessen ist der
verbündeten Monarchse das russische Reich in den Weg geireten. An die Seite
Oelsterreich-Ungarns ruft uns nicht nur unsere Bündnispflicht. Uns fällt zugleich
die gewaltige Aufgabe zu, mit der alten Kulturgemeinschafi der beiden Reiche
unsere eigene Stellung gegen den Ansturm feindlicher Kräfte zu schirmen.
Mit schwerem Herzen habe Ich Meine Armee gegen einen Nachbar mobili-
sieren müssen, mit dem sie auf so vielen Schlachtfeldern gemeinsam gefochten hat.
Mit aufrichtigem Leid sah Ich eine von Deutschland treu bewahrte Freundschaft
zerbrechen. Die kaiserlich russische Regierung hat sich, dem Drängen eines un-
ersättlichen Natlonalismus nachgebend, für einen Staat eingesetzt, der durch Be-
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