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Die Antwort der Serbischen Regierung auf die Forderungen, welche die Öster-
reichisch-Ungarische Regierung am 23. d. Mts. durch ihren Vertreter in Belgrad hat
stellen lassen, läßt indessen erkennen, daß die maßgebenden Faktoren in Serbien nicht
gesonnen sind, ihre bisherige Politik und agitatorische Tätigkeit aufzugeben. Der
ÖsterreichischUngarischen Regierung wird demnach, will sie nicht auf ihre Stellung
als Großmacht endgültig Verzicht leisten, nichts anderes übrig bleiben, als ihre Forde-
rungen durch einen starken Druck und nötigenfalls unter der Ergreifung militärischer
Maßnahmen durchzusetzen.
Einzelne russische Stimmen betrachten es als selbstverständliches Recht und als
die Aufgabe Rußlands, in dem Kouflikte zwischen Österreich Ungarn und Serbien aktiv
für Serbien Partei zu ergreifen. Für die aus einem solchen Schritte Rußlands
resultierende europäische Konflagration glaubt die Nowoje Wremja sogar Deutschland
verantwortlich machen zu dürfen, sofern es nicht Österreich-Ungarn zum Nachgeben
veranlaßt. Die russische Presse stellt hiermit die Verhältnisse auf den Kopf. Nicht
Ssterreich-Ungarn hat den Konflikt mit Serbien hervorgerufen, sondern Serbien ist
es gewesen, das durch eine skrupellose Begünstigung großserbischer Aspirationen auch
in Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie diese selbst in ihrer Existenz ge-
fährdet und Zustände geschaffen hat), die schließlich in der frevelhaften Tat von
Serajewo ihren Ausdruck gefunden haben. Wenn Rußland in diesem Konuflikte für
Serbien eintreten zu müssen glaubt, so ist das an sich gewiß sein gutes Recht. Es
muß sich aber darüber klar sein, daß es damit die serbischen Bestrebungen auf Unter-
höhlung der Existenzbedingungen der österreichischungarischen Monarchie zu den seinigen
macht, und daß es allein die Verantwortung dafür trägt, wenn aus dem österreichisch.
serbischen Handel, den alle übrigen Großmächte zu lokalisieren wünschen, ein europä-
ischer Krieg entsteht. Diese Verantwortung Rußlands liegt klar zutage und wiegt
um so schwerer, als Graf Berchtold Rußland offiziell erklärt hat, es beabsichtige
weder serbische Gebietsteile zu erwerben noch den Bestand des serbischen Königreichs
anzutasten, sondern wolle lediglich Ruhe vor den seine Existenz gefährdenden serbischen
Umtrieben haben.
Die Haltung der Kaiserlichen Regierung in dieser Frage ist deutlich vorge.
zeichret. Die von den Panflawisten gegen Ssterreich-Ungarn betriebene Agitation
erstrebt in ihrem Endziel, mittels der Zertrümmerung der Donaumonarchie die
Sprengung oder Schwächung des Dreibundes und in ihrer Folgewirkung eine völlige
Isolierung des Deutschen Reichs. Unser eigenstes Interesse ruft uns demnach an
die Seite Österreich-Ungarns. Oie Pflicht, Europa wenn irgend möglich vor einem
allgemeinen Kriege zu bewahren, weist uns gleichzeitig darauf hin, diejenigen Be-
strebungen zu unterstützen, die auf die Lokalisierung des Konflikts hinzielen, getren
den Richtlinien derjenigen Politik, die wir seit nunmehr 44 Jahren im Interesse
der Aufrechterhaltung des europäischen Friedens mit Erfolg durchgeführt haben.
Sollte indes wider Erhoffen durch ein Eingreifen Rußlands der Brandherd eine
Erweiterung erfahren, so würden wir getren unserer Bundespflicht mit der ganzen
Macht des Reichs die Nachbarmonarchie zu unterstützen haben. Nur gezwungen
werden wir zum Schwerte greifen, dann aber in dem ruhigen Bewußtsein, daß wir
an dem Unheil keine Schuld tragen, das ein Krieg über Europas Völker bringen müßte.