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Mittelmeer. In beiden Gebieten muß Rußland bestrebt sein, von England Kom-
pensationen dafür zu erhalten, daß es einen Teil der deutschen Flotte auf die russische
abzieht.
Im Gebiet des Bosporus und der Dardanellen sollen zeitweilige Unterneh-
mungen in den Meerengen als strategische Operationen Rußlands im Kriegsfalle ins
Ange gefaßt werden.
Die russischen Interessen in der Ostsee verlangen, daß England einen möglichst
großen Teil der deutschen Flotte in der Nordsee festhält. Dadurch würde die er.
drückende Ubermacht der deutschen Flotte über die russische aufgehoben und vielleicht
eine russische Landung in Pommern möglich werden. Hierbei könnte die Cnglische
Regierung einen wesentlichen Dienst leisten, wenn sie vor Beginn der Kriegsoperationen
eine so große Jahl von Handelsschiffen in die baltischen Häfen schickte, daß der
Mangel an russischen Transportschiffen ausgeglichen wird.
Was die Lage im Mittelmeer anbetrifft, so ist es für Rußland höchst wichtig,
daß dort ein sicheres Ubergewicht der Streitkräfte der Entente über die austrolitalie-
nische Flotte hergestellt wird. Denn salls die österreichisch-italienischen Streitkräfte
dieses Meer beherrschen, würden Angriffe der österreichischen Flotte im Schwarzen
Neer möglich sein, was für Rußland ein gefährlicher Schlag wäre. Es muß an-
genommen werden, daß die austro-italienischen Streitkräfte den französischen überlegen
sind. England müßte daher durch Belassung der notwendigen Sahl von Schiffen im
Mittelmecer das Übergewicht der Streitkräfte der Ententemächte mindestens so lange
sichern, als die Entwicklung der russischen Marine noch nicht so weit fortgeschritten
ist, um die Lösung dieser Aufgabe selbst zu übernehmen. Russische Schiffe müßten
mit Zustimmung Englands als Basis im östlichen Mittelmeer die englischen Häfen
benutzen dürfen, ebenso wie die französische Marinekonvention der russischen Flotte
gestattet, sich im westlichen Mittelmeer auf die französischen Häfen zu basieren.
X.
Jauli 1914.
Gelegentlich meiner heutigen Unterhaltung mit Herrn Sasonow wandte sich
das Gespräch auch dem Besuch des Herrn Poincaré zu. Der Minister hob den frieb—
fertigen Ton der gewechselten Trinksprüche hervor. Ich konnte nicht umhin, Herrn
Sasonow darauf aufmerksam zu machen, daß nicht die bei derartigen Besuchen aus-
getauschten Toaste, sondern die daran geknüpften Preßkommentare den Stoff zur Be.-
unruhigung geliefert hätten. Derartige Kommentare seien auch diesmal nicht aus-
geblieben, wobei sogar die Nachricht von dem angeblichen Abschluß einer russisch-eng.-
lischen Marinekonvention verbreitet worden sei. Herr Sasonow griff diesen Satz auf
und meinte unwillig, eine solche Marinekonvention existiere nur in der Idee des
Berliner Tageblattes' und im Mondé.
X.
Juuli 1914.
Euer ufw. beehre ich mich beifolgend Abschrift eines Schreibens zu übersenden,
das der Adjutant eines zur Zeit hier weilenden russischen Großfürsten unter dem 25. d. M.