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von Petersburg aus an den Großfürsten gerichtet hat, und über dessen wesentlichen
Inhalt ich bereits telegraphisch berichten durfte. Das Schreiben, von dem ich auf
vertranlichem Wege Kenntnis erhielt, erweist meines gehorsamen Dafürhaltens, daß
man schon seit dem 24. d. M. in Rußland zum Kriege entschlossen ist.
Anlage.
12./25. Juli, Petersburg.
?*In Petersburg waren große Unordnungen unter den Arbeitern; sie fielen
sonderbar mit der Anwesenheit der Franzosen bei uns und mit dem österreichischen
Ultimatum an Serbien zusammen. Gestern hörte ich von dem französischen Militär-
agenten General de la Guiche, er habe gehört, daß Österreich anu den Arbeiterunruhen
nicht unschuldig sei. Jetzt kommt aber alles rasch zu normalen Verhältnissen. Und
es scheint, daß, von den Franzosen ermutigt, unsere Regierung aufgehört hat, vor
den Deutschen zu zittern. Es war längst Jeit! Es ist besser, sich einmal klar aus-
zusprechen, als sich ewig hinter den professionellen Lügenn der Diplomaten zu ver-
bergen. Das Ultimatum Österreichs ist von unerhörter Frechheit, wie alle hiesigen
Zeitungen einmütig sagen. Eben habe ich die Abendzeitung gelesen: — gestern war
Sitzung des Ministerrats; der Kriegsminister hat sehr energisch gesprochen und bestätigt,
daß Rußland zum Kriege bereit sei, und die übrigen Minister haben sich voll an-
geschlossen; es wurde in entsprechendem Geist ein Bericht an den Kaiser fertiggestellt,
und dieser Bericht wurde an demselben Abend bestätigt. Heute wurde im „Russischen
Invaliden= eine vorläufige Mitteilung der Regierung veröffentlicht, daß die Regie.
rung sehr durch die eingetretenen Ereignisse und die Absendung des österreichischen
Ultimatums an Serbien besorgt sei. Die Regierung verfolgt aufmerksam die Ent-
wicklung der serbisch-österreichischen Zusammenstöße, bei denen Rußland nicht gleich-
gültig bleiben kann. Diese Mitteilung ist von allen Zeitungen mit sehr günstigen
Kommentaren nachgedruckt worden. Wir alle sind überzeugt, daß dieses Mal keine
Rasputins Rußland verhindern werden, seine Pflicht zu erfüllen. Deutschland, das
Ssterreich vorschickt, ist fest entschlossen, sich mit uns zu messen, bevor wir unsere
Flotte ausbauen, und die Balkanstaaten haben sich noch nicht vom Kriege erholt.
Auch wir müssen der Gefahr ins Gesicht sehen und nicht unseren Kopf verstecken, wie
während des Balkankrieges, als Kokowzow nur an die Börse dachte. Damals aber
wäre der Krieg leichter gewesen, da der Balkanbund voll bewaffnet war. Aber bei
uns trieb man die Straßendemonstrationen, die gegen das elende Österreich gerichtet.
waren, durch die Polizei auseinander! Jetzt aber würde man ebensolche Demon-
strationen freudig begrüßen Überhaupt wollen wir hoffen, daß das Regiment der
Feiglinge (nach Art Kokowzows) und gewisser Schreier und Mystiker vorüber ist.
Der Krieg ist ein Gewitter. Mögen auch Katastrophen kommen, es wäre immer
besser, als in dieser unerträglichen Schwüle zu beharren. Aus Erfahrung weiß ich
bestimmt, daß für mich der ruhigste Platz in der Front ist, wo man die Gefahr in
ihrer natürlichen Größe sieht, und das ist gar nicht so furchtbar; am schlimmsten
ist es in der Nachhut, in der die Atmosphäre der Feigheit herrscht, unwahrschein-
liche Gerüchte umlaufen und Paniken entstehen. Im künftigen Kriege aber wird das
Innere Rußlands die Nachhut sein.