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In gleich eingehender Weise wird dann der ganze Scheldelauf mit allen
Nebenflüssen, Ortschaften, Landungs. und Ubergangsgelegenheiten, Breiten und Tiefen,
Brücken, Bootsvorräten usw. beschrieben.
So bilden die handlichen Bände für den Führer, Generalstabsoffizier und
Unterführer jeden Grades einen vortrefflichen Wegweiser. Ihm beigegeben sind:
1. eine nach Gemeinden und Dörfern geordnete Einquartierungsübersicht
mit Jahlen der Belegungsfähigkeit, der vorhandenen Transportmittel und allen
sonstigen Angaben, deren ein Ortskommandant bedarf;
2. eine Zusammenstellung von wichtigen Fingerzeigen für Flugzeugführer in
dem Teile von Belgien, der südlich der Linie Charleroi-Namur-Lüttich liegt, sowie
für die Umgegend von Brüseel.
Dieses außerordentlich sorgsam und übersichtlich abgefaßte Merkbuch wird durch
eine Karte der Landungsplätze ergänzt, trägt die Aufschrift geheim und stammt aus
dem Juli 1914.
Diese militärgeographischen Handbücher sind nun nicht etwa erst kurz vor oder
während des Krieges hergestellt. Das wäre — von der Drucklegung abgesehen —
auch nicht möglich gewesen. Das Material dafür wurde vielmehr, wie die Be-
merkungen über den einzelnen Abschnitten besagen, seit 1909 durch Einzelerkundungen
gewonnen. Der erste Band wurde dann 1912 gedruckt.
Die Leitfäden beweisen somit eine seit 5 Jahren betriebene eingehende
Vorbereitung für einen Feldzug im neutralen Belgien. Es sind nichts anderes als
geheime Dienstvorschriften für ein dort kämpfendes englisches Heer. Der englische
Generalstab hat sich mithin schon seit geraumer Zeit auf diesen Fall so weit ein-
gerichtet und ihn so sicher vorausgesehen, daß er die mühselige Arbeit der Zusammen=
stellung dieser militärischen Handbücher durchführte.
Ohne eine bereitwillige, weitestgehende Unterstützung der Belgischen
Regierung und Militärbehörden war eine solche Arbeit nicht zu leisten. Derartig
erschöpfende, bis ins kleinste gehende strategische und taktische Angaben wie die
oben mitgeteilten oder so genaue Daten über das gesamte Eisenbahn= und Verkehrs-
wesen, über das rollende Material, über Schleusen und Brücken kann man auf andere
Weise nicht beschaffen. Die Belegungsfähigkeitslisten, die über Belgien verfügen, als
wäre es das eigene Land, können nur von der Belgischen Regierung stammen. Hier
ist zweifellos amtliches belgisches Material benutzt worden. Man hat es für
englische Jwecke zurechtgemacht oder an vielen Stellen einfach ins Englische
übersetzt.
So eingehend hatten England und Belgien bereits im Frieden ein
militärisches Zusammenwirken miteinander verabredet. Belgien war eben politisch
und militärisch nichts anderes als ein Vasall Englands. Die Entrüstung, die
England heute wegen Deutschlands angeblichen Neutralitätsbruchs vor aller Welt zur
Schau trägt, wird durch diese Dokumente als völlig haltlos und ungerecht erwiesen.
Wenn jemand Anspruch darauf hat, empört zu sein, so sind es wir!
Als anläßlich unserer Operationen an der Küste die englische und französische
Presse höhnisch meinte, wir seien über die Gefahren des Uberschwemmungsgebietes
im sogenannten Polderland nicht unterrichtet, hatte sie insofern recht, als wir Belgiens