Kolonnen gegen Memel vor. Es waren 7 Reichswehrbataillone, mit 6 bis 8 älteren
Geschützen, einige Reichswehreskadrons, 2 Kompagnien Marineinfanterie, 1 Bataillon
des Reserveregiments 270 und Grenzwachtruppen aus Riga und Libau, im ganzen
6000 bis 10 000 Mann. Der unterlegene deutsche Landsturm zog sich von der
Grenze auf Memel zurück und mußte schließlich auch durch die Stadt über
das Haff und die Nehrung zurückgehen. Die Russen sengten an den Vormarsch-
straßen von Nimmersatt und Langallen zahlreiche Gebäude, vor allem Scheunen
nieder. Im ganzen wurden 15 Ortschaften schwer geschädigt. Eine erhebliche An-
zahl von Landeseinwohnern, auch Frauen und Kinder, wurden nach Rußland fort-
geschleppt, eine Anzahl Einwohner erschlagen. Am Abend des 18. März zogen die
Russen in Memel ein. Die Truppen wurden hauptsächlich in den Kasernen untergebracht.
Am Freitag abend erschien der russische Kommandant im Rathause, forderte den
Oberbürgermeister und später noch drei weitere Bürger als Geiseln und ließ sie in
die Kasernen bringen, welche von den Russen bereits in einen unglaublichen Zustand
versetzt waren. In den Straßen der Stadt trieben sich plündernde Trupps russischer
Soldaten herum, verhafteten Einwohner, drangen in die Häuser ein, zerschlugen
Ladenscheiben, plünderten und raubten Lebenemittelgeschäfte, 2 Uhrmacherläden und
einen Juwelierladen vollständig aus. In drei Fällen sind Vergewaltigungen weib-
licher Personen bisher festgestellt. Brände und Hauszerstörungen ereigneten sich im
allgemeinen nicht. Die Nachricht, daß russischer Pöbel sich an den Ausschreitungen
beteiligt habe, hat sich nicht bestätigt. Der russische Kommandant, dem das wüste
Treiben seiner Leute anscheinend selbst ungeheuerlich schien, suchte Einhalt zu ge-
bieten, indem er die Plünderertrupps in die Kasernen zurückschicken und schließlich die
Kasernentore schließen ließ.
Am Sonnabend vormittag war die Stadt selbst bis auf Patrouillen frei von
russischen Soldaten. Am Sonnabend abend zogen die Russen ab. Nur einzelne
versprengte Trupps blieben in Memel zurück. Diese wollten bereits ihre Gewehre
auf dem Rathause abliefern, als am Sonntag nachmittag von neuem stärkere
russische Trupps von Norden her in die Stadt einrückten. Sie stießen in Memel
bereits auf deutsche Patrouillen, denen stärkere deutsche Truppen von Süden her
folgten. Im energischen Angriff, bei dem sich das Bataillon Nußbaum vom Ersatz-
regiment Königsberg besonders auszeichnete, warfen sie die Russen aus Memel
heraus. Bei dem heftigen Straßenkampfe verloren die Russen etwa 150 Tote;
unsere Verluste waren gering. Beim Zurückgehen rissen die Russen ihre nach-
kommenden Verstärkungen mit in die Flucht. Die Geiseln waren beim Herannahen
unserer Truppen unter Bedeckung nordwärts abgefahren. Bei Königswäldchen
blieb der Wagen stehen, die Bedeckungsmannschaften flüchteten. Die verhafteten
Bürger suchten nach Memel zurückzukommen; hierbei viel Bürgermeister Pockels zu
Boden und wurde liegend von fiüchtenden russischen Soldaten durch Bajonettstiche
schwer verletzt.
Die Russen flohen, ohne Widerstand zu leisten, und wurden am 22. und 23. März
energisch verfolgt. Besonders beim Durchmarsch durch Polangen erlitten sie durch