Denkschrift der kaiserlich deutschen Regierung zu der Kriegs—
gebietserkldrung.
Berlin, 4. Februar. Der „Reichs-Anzeiger“ veröffentlicht folgende Denkschrift der
Reichsregierung an die Verbündeten, die Neutralen und die feindlichen Mächte:
Seit Beginn des gegenwärtigen Krieges führt Großbritannien gegen Deutschland den
Handelskrieg in einer Weise, die allen völkerrechtlichen Grundsähen Hohn spricht. Wohl hat
die britische Regierung in mehreren VBerordnungen die Tondoner Seekriegsrechtserklärung als
für ihre Seestreitkräfte maßgebend bezeichnei; im Wirklichkeit hat sie sich aber von dieser Er-
klärung in den wesentlichsten Dunkten losgesagt, obwohl ihre eigenen Bevollmächtigten auf der
Londoner Seekriegsrechtskonferenz deren Beschlüsse als geliendes Bölkerrecht anerkannt hatten.
Die britische Regierung hat eine Reihe von Gegenstkänden auf die Liste der Konterbande gesehzt,
die nicht oder doch nur sehr mittelbar für kriegerische Zwecke verwendbar sind und daher nach
der Londoner Erklärung wie nach allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtis überhaupt
nicht als Konterbande bezeichnet werden dürfen. Sie hat ferner den Interschied zwischen ab-
soluter und relativer Konterbande tatsächlich beseitigt, indem sie alle für Deutschland bestimmten
Gegenstände relativer Konterbande ohne Rücksicht auf den Hafen, in dem sie ausgeladen werden
sollen, und ohne Rücksicht auf ihre feindliche oder friedliche Zerwendung der Wegnahme unter-
wirft. Sie scheut sich sogar nicht, die Dariser Seerechtsdeklaration zu verletzen, da ihre See-
sireitkräfte von neutralen Schiffen deutsches Eigentum, das nicht Konterbande war, weggenommen
haben. #Leber ihre eigenen BZerordnungen zur Londoner Erklärung hinausgehend, hat sie weiter
durch ihre Seestreitkräfte zahlreiche wehrfähige Deutsche von neutralen Schiffen wegführen lassen
und sie zu Kriegsgefangenen gemacht. Endlich hat sie die ganze Nordsee zum Kriegsschauplat
erklärt und der neutralen Schiffahrt die Durchfahrt durch das offene Meer zwischen Schoktland
und Norwegen, wenn nicht unmöglich gemacht, so doch aufs äußerste erschwert und gefährdei,
so daß sie gewissermaßen eine Blockade neutraler Küsten und neutraler Häfen gegen alles VBöiker-
recht eingeführt hat. Alle diese Maßnahmen verfolgen offensichtlich den Zweck, durch die völker-
rechtswidrige Lahmlegung des legitimen neutralen Handels nicht nur die Kriegführung, sondern
auch die Volkswirtschaft Deutschlands zu treffen und letzten Endes auf dem Wege der Aus-
bungerung das ganze deutsche Zolk der DVernichtung preiszugeben.
Die neutralen Mächte haben sich den Maßnahmen der britischen Regierung im großen
und ganzen gefügt; insbesondere haben sie es nicht erreicht, daß die von ihren Schiffen völker-
rechiswidrig weggenommenen deutschen Dersonen und Güter von der britischen Regierung
herausgegeben worden sind. Auch haben sie sich in gewisser Richtung sogar den mit der Frei-
heit der Meere unvereinbaren englischen Maßnahmen angeschlossen, indem sie offenbar unter
dem Oruck Englands die für friedliche Zwecke beskimmte Durchfuhr nach Deutschland auch
ihrerseits durch Ausfuhr= und Durchfuhrverbote verhindern. Vergebens hat die deutsche Re-
gierung die neutralen Mächte darauf aufmerksam gemacht, daß sie sich die Frage vorlegen
müsse, ob sie an den von ihr bisher ffreng beobachteten Zestimmungen der Londoner Erklärung
noch länger festhalten könne, wenn Großbritannien das von ihm eingeschlagene Verfahren fort-
setzen und die neutralen Mächte alle diese Neutralitätsverletzungen zu ungunsken Deutschlands
länger hinnehmen würden. Großbritannien beruft sich für seine völkerrechtswidrigen Maßnahmen
auf die Lebensinteressen, die für das Britische Reich auf dem Spiele slehen, und die neutralen
Mächte scheinen sich mit theoretischen Hrotesten abzufinden, also katsächlich Lebensinteressen von
Kriesführenden als hinreichende Entschuldigung für jede Art von Kriegführung gelten zu lassen.
Solche Lebensinteressen muß nunmehr auch Oeutschland für sich anrufen. Es sieht sich
daher zu seinem Bedauern zu milltärischen Maßnahmen gegen England gezwungen, die das
englische Derfahren vergelten sollen. Wie England das Gebiet zwischen Schottland und Nor-
wegen als Kriegsschauplatz bezeichnet hat, so bezeichnet Deutschland die Gewässer rings um