Full text: Amtliche Kriegsdepechen Band 4 (4)

  
zur Annahme elnes Vermittelungsvorschlages bewog. England gab in Petersburg sein Miß- "o 
vergnügen mit dieser Lösung zu erkennen. Eir Edward Grey aber erklärie bei dieser Gelegen- 
heit, wie mir zuverlässig bekannt ist, er glaube, die englische öffentliche Meinung würde, falls 
es zum Kriege gekommen wäre, die Beteiligung Englands an Rußlands Seite gebilligt haben. 
Dann Agadir. Wir waren im besten Zuge, unsere Disferenzen mit Frankreich im Der- 
handlungswege zu schlichten, als England mit der bekannten Rede Llopd Georges dazwischen- 
fuhr und die Kriegsgefahr heraufbeschwor.“ 
„Ich wlbll nicht entscheiden, ob Eure Exzellenz recht haben“, sagte ich, „aber Sir Edward 
Grey meinte doch, Eure Exzellenz hätten genau gewußt, daß England niemals Böses gegen 
Deutschland im Schilde geführt habe.“ 
„Ich brauche als Antwort wohl bloß das Wori „Einkreisungspolitik“ aussprechen“, erwiderte 
der Kanzler. „Aus den veröffentlichten Dokumenten der belgischen Archive weiß alle Welt, daß 
auch neutrale Staatsmänncr, wie die belgischen Diplomaten, nicht nur in Berlin, sondern auch 
in Daris und London in dieser Einkreisungspolitik nichts anderes sahen als eine eminente 
Krlegsgefahr. Was ich gegen diese Gefahr tun konnte, habe ich getan. Das Neutralitäls,= 
abkommen, das ich Lord Haldane anbot, hätte nicht nur Europa, sondern der ganzen Welt 
den Frieden gesichert; England hat es abgelehnt.“ 
„Ja“, erlaubte ich mir zu bemerken. „Sir Edward Grey meine aber doch, Deutschland 
hätie absolute Neutralifäf verlangt, auch für den Fall, daß Deutschland auf dem Kontinent 
Angriffskriege führen wollte, und dorauf hälte England doch wohl nicht eingehen können.“ 
„Ich habe“, erwiderte der Kanzler, „am 19. August 1915 im Reichstage den Worilaut 
der Formel mitgeteillt, die ich dem englischen Kabinett in den damaligen Berhandlungen vor- 
geschlagen habe. Die letzte Formel lautete: „England wird diese wohlwollende Neutrali#ät 
bewahren, sollte Deutschland ein Krieg aufgezwungen werden.“ — Aufsgezwungen — bitte ich 
Sie zu bemerken. Es widerstrebt mir, auf alle diese Dinge, die ich ganz ausführlich vor aller 
Weli crörtert habe, zurückzukommen, aber, wenn Sie mich auf die Zemerkung anreden, die 
Sir Edward Grey hierüber gemacht hat, bin ich gezwungen fesizustellen, daß sie den Tatsachen 
nicht enitspricht.“ 
„Und“, fuhr der Kanzler fort, „lassen Sie mich noch eine, aber die letzte Bemerkung über 
die VBergangenheit machen. Immer erneut lommt Sir Edward Grey auf die Zehauptung 
zurück, Deutschland hätle den Krieg vermeiden können, wenn es auf den englischen Konferenz- 
vorschlag eingegangen wäre. Wie konnte ich diesen Borschlag annehmen angesichts der umfang- 
reichen, in vollem Gang befindlichen Mobiliskerungsmaßnahmen der russischen Armee?“ fragte 
der Kanzler. „Troh amtlicher russischer Ableugnungen und wiewohl der formelle Mobill- 
machungsbefehl nicht vor dem Abend des 30. Juli ausgegeben wurde, war uns genau bekannt, 
und i#st selidem bestätigt worden, daß die russische Reglerung, einem schon om 25. Juli gefaßten 
Entschluß entsprechend, bereits mit der Mobilisierung begonnen hatte, als der Greysche Kon- 
ferenzvorschlag erfolgte. Angenommen, ich wäre auf den Vorschlag eingegangen, und nach 
Verhandlungen von zwei bis drei Wochen, während deren Rußland sketig mit der Ansammlung 
seiner Truppen an unserer Grenze fortfuhr, wäre die Konferenz gescheiterk, würde England uns 
dann vielleicht vor der russischen Invasion bewahrt oder uns mit seiner Flotte oder mit selnem 
Heere untersiüht haben! Im Hinblick auf die späteren Kriegseretgnisse muß ich sehr stark daran 
zweifeln. Mit zwel zu verteidigenden Grenzen konnte sich Deuischland auf keine Debakten ein- 
lassen, deren Ausgang dußerst problematischer Natur war, während der Feind die Zeit zur 
Mobilisserung seiner Armeen ausnutzte, mit denen er uns überfallen wollte. Sir Edward Grey 
hat in den kritischen Tagen des Juli 1914 selbst anerkannt, daß mein Gegenvorschlag einer 
umnmittelbaren Aussprache zwischen den Kabinetten von Wien und St. Petersburg besser geeignet 
sei, den österrelchisch-serbischen Konflikt zu begleichen, als eine Konferenz, und dlese von Deutsch- 
land betriebene Aussprache war nach Ueberwindung mancher Hindernisse auf dem besten Wege, 
    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
   
  
  
  
    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
	        
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