Full text: Amtliche Kriegsdepechen Band 5 (5)

Dem stelle ich folgende Schritie Lord Greys gegenüber: Am 22. Juli 1914 gab er auf 
die Bemerkung des russischen Botschaffers in London, in deutschen und österreichisch-ungartschen 
Kreisen beskehe der Eindruck, daß England ruhig bleiben werde, die Antwort: „Oieser Eindruck 
wird durch die Befehle beseitigt, die wir der ersten Flotte gegeben haben.“ Am 29. Juli gab 
Grey von seiner vertraulichen Warmung an unseren Botschafker in London, daß Deutschland 
auf rasche Entschlüsse Englands, d. h. seine Teilnahme am Kriege gegen uns gesaßt seln müsse, 
sofort dem französischen Botschafter Kenninis. Konnte Lord Grey annehmen, daß eine solche 
Eröffiung an den französischen Botschaster dem Frieden dienen würde? Mußte der Franzose 
deese Eröffnung nicht als eine Zusage der Waffenhilse für den Kriegsfall ansehen? Mußte 
Frankreich dadurch ulcht ermutigt werden, Rußland die seit Tagen dringend verlangte Zusage 
der unbedingten Kriegsgefolgschaft zu geben! Und mußte Rußland nicht durch die Sicherheit 
der englischen und französischen Bundesgenossenschaft in seiner Kriegsabsicht ausfs äußerste befkärkt 
werden? Die russische Antwort auf das Morgengespräch des Lord Grey ließ in der Tat nicht 
auf sich warten. Am Abend desselben Tages, des 29. Juli, beauftragte Herr Sasonow den 
russischen Zotschafter in Daris, der französischen Regierung die aufrichtige Dankbarkeit für die 
ihm von dem französischen Botschaffer gemachte Erklärung auszusprechen, daß Kußland voll 
und ganz auf die Unterstützung des verbündeten Frankreich rechnen könne. Also RKußland sfand 
in der Nacht vom 30. zum 31. Juli vor der Tatsache der durch unsere Einwirkung herbes- 
ge führten Nachgieblgkeit Oesterreich-Angarns, die den Weg zur Erhaltung des Friedens freimachte; 
es siand gleichzeittg vor der durch die Eröffnung Lord Greys an Herrn Daul Cambon 
gewährleisstketen Sicherhelt der englischen und französischen Waffenhilfe, eine Sicherheit, die ihm 
überhaupt erst die Möglichkeit des Krieges gab. Es wählte die Mobilmachung und damst 
den Krieg. Wer ist nun schuld an dieser schicksalschweren Entscheidung? Wir, die wir dem 
Wlener Kabinett mit Nachdruck die Gußersie Nachgiebigkeit und die Annahme eines englischen 
VBermlttelungsvorschlages empfehlen? Oder das britische Kabinett, das Frankreich und Kußland 
in der kritischen Stunde seine Waffenhi#lfe in Aussicht siellte) Lord Grey hat von diesen 
entscheidenden Dingen nicht gesprochen, dafür aber die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf Neben- 
sachen abgelenkt. Das Haager Schiedsgericht, das der Zar anbot, klingt ja dußerlich sehr 
bedeuiungsvoll. Aber es wurde angeboten, als bereits die russischen Truppen gegen uns in 
Bewegung gesetzt waren. Seinen eigenen Konferenzvorschlag — ich habe das wlederholt im 
Reichstage ausgeführt — hatte Lord Grey selbst zugunsten unserer Vermittelung zurückgestellt. 
Und Zelgien? Ehe auch nur ein einziger deutscher Soldat seinen Fuß auf belgischen Zoden gesetzt hatte, 
hat Lord Grey dem französischen Botschaster nach dessen Bericht an seine Kegierung wörtlich erklärt: 
„Falls die deuische Flotte in den Kanal einfahren oder die Nordsee passieren sollie in der 
Absicht, die französische Küste oder die französische Kriegsflotte anzugreifen und die französische 
Handelsflotte zu beunruhigen — zu beunruhigen, meine Herren! — würde die britische Flotte ein- 
greisen, um der französischen Marine ihren Schuth zu gewähren, in der Art, daß von diesem Augen- 
blick an England und Deutschland sich im Kriegszuskand befinden würden.“ 
Kann dersenige, der das Auslaufen unserer Flotte als Casus belli erklärte, wirklich noch im 
Ernst behaupten, einzig und allein die Verletzung der belgischen Neutralität habe England gegen 
seinen Willen in den Krieg getrieben? 
Und schließlich die Behauptung, wir hätten, um England vom Kriege fernzuhalten, der 
britischen Kegierung das unwürdige Angebot gemacht, sie möge zur Verlehung der belgischen 
Neutralität die Augen zudrücken und uns sfreie Hand lassen, die französischen Kolonten wegzu- 
nehmen? Ich fordere Lord Grey auf, in seinem Blaubuch und in seinen Akten den Sachver- 
halt nachzuprüfen. Ich habe in dem ernsten Bestreben, den Krieg zu lokalssieren, dem britischen 
Botschafier in Berlin schon am 29. Juli zugesichert, daß wir unter Voraussehung der Neutralität 
Englands die territoriale Integritt Frankreichs gewährleisteten. Am 1. August hat der Fürft 
Lichnowsky den Lord Grey gefragt, ob im Falle einer Zerpflichtung Deutschlands, die Neutralität 
 
	        
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