94 Titel II. Die „Rechte der Preußen“ subjektive Rechte?
schiedenheiren gibt Giese, die Grundrechte (1905] S. 27 f.), während
Zorn, der die Ansichten des von ihm edierten Roenne vielfach hat
stehen lassen, aber wohl ohne sie zu billigen, die Kontroverse unent-
schieden läßt (v z 2 150) und wieder andere — Schwartz, Komm.
S. 50 — sie für belanglos halten. Eigenartig haben sich zu dem
Problem der Erundrechte gestellt: Jellinek, Syst. d. subj. öff. Rechte
S. 97 f., und Dantscher v. Kollesberg, Die politischen Rechte der Unter-
tanen; der Ansicht des ersteren habe ich, Enzykl. S. 534, 535, mich in
den wesentlichen Punkten angeschlossen. Eine Darstellung dieser Lehren
ist hier nicht möglich, eine Erörterung des Problems im vollen Um-
fange nicht angebracht; was darüber an dieser Stelle zu sagen ist, muß
sich auf den Inhalt dieses Titels der preußischen Verfassung beschränken.
Es fragt sich also, ob Tit. II wirklich, wie er nach der Uber-
schrift soll, eine Kollektion subjektiver Einzelrechte enthält. Diese Frage
kann bei der bereits festgestellten Ungleichartigkeit der Bestandteile des
Titels nicht einheitlich beantwortet werden. Es ist ebenso unrichtig,
sie bedingungslos zu verneinen, wie sie einfach zu bejahen. Vielmehr
muß unterschieden und jeder Artikel für sich angesehen werden. Als-
dann ergibt sich folgende Gruppierung:
I. Eine Reihe von Artikeln wendet sich ausschließlich an den
Gesetzgeber, diesem eine bestimmte Aufgabe oder Richtung seiner
Tätigkeit vorschreibend. Hierher gehören Art. 17, 19, 21—25 (in Ver-
bindung mit Art. 26, in der Fassung des G. vom 10. Juli 06, Satz 2),
teilweise 40—42 und in gewisser Hinsicht auch 5, 6, 9. Es kann da-
hingestellt bleiben, ob diese und gleichgeartete, in andern Teilen der
Verfassung vorkommenden Sätze, z. B. Art. 61 Abs. 2, 72 Abs. 2, 98, 101
Abs. 2, 104 Abs. 2, 105, überhaupt im rechtlichen Sinne dispositiv, d. h.
als Quelle von Rechtspflichten der Legislative — wobei erst noch
nach der Möglichkeit solcher Pflichten zu fragen wäre — und nicht
etwa rein programmatisch-enuntiativ gemeint sind, denn subjiektive
Rechte würden sie weder in dem einen noch in dem andern Falle er-
zeugen, da Ansprüche von Individuen gegen den Staat als Gesetzgeber,
sei es auf Vornahme, sei es auf Unterlassung oder Zurücknahme eines
legislativen Aktes, nach unseren Rechtsanschauungen zu den Unmöglich-
keiten gehören (Jellinek, System 80, 81, Anschütz, Enzykl. 532, 533, 535).
Die hier in Rede stehenden Verfassungsartikel enthalten kein aktuell
geltendes und anwendbares Recht, sie sind nicht schon gegebene, sonderm
Direktiven für zu gebende Gesetze. Ob ein Verfassungssatz dieser Kate-
gorie angehört, kann zweifelhaft sein, ist aber im Zweifelsfall nicht
ohne weiteres zu bejahen. Denn es ist eine Ansnahmeerscheinung,