Titel II. Gelten die Vorschriften dieses Titels auch für Nichtpreußen? 99
keit des Gesetzgebungs- und die Zulässigkeit des Verordnungsweges wird
durch Tit. II der Verfassung nicht gegeben, sondern von ihm vorausgesetzt,
sie wird durch die „Rechte der Preußen“ im einzelnen deklariert und illu-
striert, beruht aber nicht auf ihnen. S. auch unten bei Art. 5 S. 137, 138.
4. Weiterhin ist zu fragen, ob die Vorschriften dieses Titels nur
für die Preußen oder auch für Nichtpreußen gelten. Die letztere
Alternative wäre aus prinzipiellen Gründen zu verneinen, wenn es
sich bei den „Rechten der Preußen“ um staatsbürgerliche (politische)
Rechte handelte, denn die in diesen Rechten verkörperte Beteiligung
des Volkes an der Bildung des Staatswillens kommt begriffsmäßig
dem einzelnen Volksgenossen nicht als Menschen, sondern als Staats-
mitglied, als Bürger zu. Dieser Gesichtspunkt scheidet aber hier aus,
da, wie oben (S. 93) dargelegt, die „Rechte der Preußen“ staatsbürger-
liche Rechte nicht sind. Wohl freilich beruht auf Tit. II eine spezifisch
staatsbürgerliche Pflicht: die durch Art. 34 statuierte allgemeine
Wehrpflicht, und diese hat denn auch, ihrem Wesen und einem an-
erkannten Grundsatze des Völkerrechts entsprechend, immer nur den In-
ländern obgelegen: vor Gründung des Reiches in Preußen den preußischen
Staatsangehörigen, seitdem, gemäß RV Art. 57, jedem Deutschen im
ganzen Reiche. Die militärrechtlichen Bestimmungen dieses Titels
(Art. 34—39) können sonach, da die bewaffnete Macht nur aus Deutschen
besteht, auf Ausländer keine Anwendung finden. Sieht man von
diesen Artikeln ab, so ist, bezüglich der Anwendbarkeit des übrigen
Inhalts des Tit. II auf Fremde, zu unterscheiden zwischen Reichs-
angehörigen und Ausländern. Die ersteren, die landesfremden Deutschen,
nehmen an den durch Tit. II gewährleisteten Berechtigungen und Be-
günstigungen im vollen Umfange teil. Dies folgt aus den Vorschriften
des Reichsrechts über das gemeinsame deutsche Indigenat, RV Art. 3.
Wenn es dort heißt, daß der Angehörige eines Bundesstaates in jedem
andern Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum
Genusse aller bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen
wie der Einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung
und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist, so ergibt sich
hieraus, daß auch, und insbesondere, die durch die Landesverfassungen
und Landesgesetze den Landesangehörigen eingeräumten Grund= und
Freiheitsrechte jetzt ohne weiteres allen Deutschen im Lande zustehen.
Denn nach der herrschenden und richtigen Auslegung des Art. 3 R
(vgl. Seydel, Komm. zur RV S. 54, Anschütz, Enzykl. 528) sind „bürger-
liche Rechte“ im Sinne jenes Artikels alle subjektiven Privat= und
öffentlichen Rechte, mit Ausnahme der staatsbürgerlichen oder politischen
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