Gilt Titel II auch für Ausländer? 101
Eben dieser Umstand schwächt aber die juristische Beweiskraft der Überschrift
ab und wo ein Widerspruch zwischen Überschrift und Inhalt vorhanden
ist, entscheidet jedenfalls nicht die Überschrift, sondern der Inhalt. Auch
darauf ist kein Gewicht zu legen, daß einige Artikel des Titels als
Destinatäre ihrer Zusicherungen die „Preußen“ ausdrücklich nennen
(Art. 27, 59, 30, in der Fassung der Reg Vorl auch Art. 5, 7, 27), während
die andern (z. B. Art. 5—9, 11, 12, 22) sich dessen enthalten: offen-
bar liegt dieser abwechselnden Erwähnung und Nichterwähnung der
Preußen in den einzelnen Artikeln irgendwelche Planmäßigkeit
und gesetzgeberische Absicht nicht zugrunde (vgl. auch v. Frisch a. a. O.
248); der Text ist in dieser Hinsicht ohne Nachdenken redigiert worden
(vgl. aber die ausdrückliche Ablehnung der hier und im folgenden be-
kämpften Auffassung bei Beratung des die Unterrichtsfreiheit betreffenden
Art. 22, s. u. S. 391).
Entscheidend sind folgende Erwägungen. Die grundrechtlichen Be-
stimmungen unserer Verfassung sind auf der einen Seite Ausdruck
jenes allgemeinen formalen Prinzips, welches oben (S. 97) als das
der gesetzmäßigen Verwaltung bezeichnet wurde, andererseits enthalten
sie materiellrechtliche, insbesondere dem Verwaltungsrecht angehörige
Grundsätze, welche als Fundamente spezialgesetzlicher Ausgestaltung ge-
dacht sind und aus letzterer heraus verstanden sein wollen. Zu-
nächst leidet es nun gar keinen Zweifel, daß jenes formale Prinzip
als solches gleichmäßig auf alle Anwendung findet, welche der
Staatsherrschaft unterworfen sind, ohne Ansehen der Staatsangehörig-
keit. Der Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung wirkt auch zu-
gunsten der Fremden: auch in deren Freiheitssphäre darf die Ver-
waltung nicht ohne gesetzliche Grundlage eingreifen, und soweit daher
die Grundrechte nichts anderes sind als Hervorhebungen einzelner An-
wendungsfälle des allgemeinen Anspruchs auf Unterlassung ungesetzlicher
Handhabung der Staatsgewalt, stellen sie in der Tat nicht „Rechte der
Preußen“, nicht Bürger-, sondern Menschenrechte dar, die übrigens
auch den juristischen Personen zustehen. Oder will man im Enrnst be-
haupten, daß der Staat nur für die Inländer zum Rechtsstaat geworden, für
die Ausländer aber Polizeistaat geblieben, daß nur preußisches Eigen-
tum „unverletzlich“ (Art. 9), ausländisches dagegen beliebig „verletzlich“
ist, — daß der verwaltungsgerichtlich geschützte Anspruch auf Aufhebung
rechtswidriger polizeilicher Verfügungen — §9 127ff. LVG, f. oben
S. 97 — nur von solchen erhoben werden kann, die den Ver-
waltungsgerichten ihre preußische bzw. deutsche Staatsangehörigkeit
nachweisen?