102 Titel II. Die Gesetze gelten für das Inland, nicht nur für die Inländer.
Aus alledem folgt freilich nur, daß das, wie bemerkt wesentlich
formale, Prinzip, wonach obrigkeitliche Eingriffe in die Freiheitssphäre
auch des Ausländers nicht anders als intra legem vorgenommen
werden dürfen, — nicht dagegen ohne weiteres, daß überall die gleiche
lex, daß durchweg materiell übereinstimmendes Recht für In-- und Aus-
länder gilt. Gleichwohl ist die hiermit intendierte materiellrechtliche Gleich-
stellung der Ausländer mit den Inländern, wie sie im Privat= und
Strafrecht schon lange zur Anerkennung gelangt ist, auch auf dem
Gebiete des Verwaltungsrechts im weitesten Maße vorhanden: auch
und insbesondere in denjenigen verwaltungsrechtlichen Materien, welche,
wie z. B. das Enteignungsrecht (val. Art. 9), das Preßrecht (Art. 27, 28)
durch die „Rechte der Preußen“ ihre Fundamentalbestimmungen erhalten
haben. Wie die Justiz-, so gelten auch die Verwaltungsgesetze, Landes-
wie Reichsgesetze territorial, also für das Inland und nicht bloß
für die Inländer. Das „Territorialitätsprinzip“ in diesem Sinne
herrscht nicht nur „faktisch“, wie v. Frisch, das Fremdenrecht 247,
248 meint, sondern auch rechtlich. „Die ganze verwaltungsrechtliche
Ordnung gilt schlechthin für die Menschen im Staat“ (Otto Mayer,
VgR 2 455). Die verfassungsrechtlichen Fundamentalsätze dieser Ordnung,
die Grundrechte, sind von dieser Regel nicht ausgenommen. Ganz
klar ist dies für diejenigen Vorschriften des Tit. II, welche gewisse Ein-
richtungen abschaffen: vgl. z. B. Art. 4, 7, 10, 11, 27, 40. Die dort
reprobierten Rechtsinstitute: Standesvorrechte, Ausnahmegerichte, bürger-
licher Tod, Abzugsgelder, Zensur, Lehnswesen sind absolut und be-
dingungslos, nicht etwa nur zugunsten der Preußen beseitigt. Daß
aber auch die übrigen „Freiheitsrechte“, richtiger: freiheitlichen Rechts-
prinzipien, welche der Titel aufstellt, den Fremden ebenso zugute
kommen wie den Einheimischen, erhellt am beweiskräftigsten aus den
im Anschluß an die betreffenden Artikel erlassenen Spezialgesetzen. Weder
das zur Ausführung von Art. 5, 6 erlassene Gesetz zum Schutze der
persönlichen Freiheit vom 12. Febr. 1850, noch das zu Art. 27, 28 ge-
hörige Preßgesetz vom 12. Mai 1851 und das an Stelle desselben ge-
tretene Reichsgesetz vom 7. Mai 1874, noch das die Art. 29, 30 aus-
führende Vereinsgesetz vom 11. März 1850 (anders allerdings das RVG
vom 19. April 1908, vgl. unten S. 518f.) lassen den Gedanken einer
grundsätzlichen Differenzierung der Fremden irgendwie erkennen und
auch die sonstigen Verwaltungsgesetze Preußens und des Reiches wissen
hiervon nichts. Mögen nach dem Wortlaut der Verfassung manche
Grundrechte den Preußen vorbehalten sein, — der Sinn, so wie er durch
die gesamte neuere Verwaltungsgesetzgebung authentisch und immer