Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 4 und die Ostmarkenpolitik. 113 
teils odiösen Privilegien dieser Kategorien sind daher mit Satz 2 voll- 
kommen vereinbar. 
Auch die Gesamtheit der preußischen Staätsangehörigen 
fremder Nationalität und Sprache ist kein „Stand“ oder In- 
begriff von Ständen und würde daher ihre faktische oder 
rechtliche Benachteiligung gegenüber den Deutschen mit Satz 2 gleich- 
falls nicht kollidieren. Angesichts der trotz ihrer Erfolglosigkeit stetig 
wiederholten Versuche (vgl. die Nachweise bei vRz# 2, 6 Anm. 1), Staats- 
regierung und Landtagsmehrheit von dem Gegenteil zu überzeugen, ist 
es nicht unwichtig, dies zu betonen. Die Tendenz des zweiten Satzes 
geht gegen den Ständestaat, nicht aber gegen den Nationalstaat, während 
aus dem ersten Satz des Artikels für die vorliegende Frage überhaupt 
nichts zu entnehmen ist, da, wie oben Nr. 2, S. 109, gezeigt, die 
durch Satz 1 ausgesprochene Gleichheit „vor dem Gesetz“ dem Inhalt 
der Gesetze weder positiv noch negativ präjudiziert. Da auch sonst 
die Väter der Verfassung nicht gesonnen waren, sich an der Grund- 
steinlegung „eines künftigen Polenreiches“ zu beteiligen (vgl. oben zu 
Art. 1 Nr. 2, III S. 69), muß daran festgehalten werden, daß Art. 4 
Satz 2 den eingestandener- und uneingestandenermaßen auf Erhaltung, 
Stärkung und Ausbreitung des Deutschtums in den Ostmarken ge- 
richteten Gesetzen und Verwaltungsmaßnahmen keineswegs entgegen- 
sieht. Eingehende und heftige Debatten über die Vereinbarkeit der 
Ostmarkenpolitik mit Art. 4 fanden im HdAbg statt bei Beratung des 
Gesetzes über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den 
Provinzen Westpreußen und Posen vom 20. März 1908 (GS 29), 
ohne daß es den Rednern der Opposition (val. insbes. die Reden 
von v. Jazdzewski, Porsch, Kindler, Marx in den Sitzungen des 
AbgH vom 29. Nov. 1907, 16. und 18. Jan. 1908, Sten Ber 41, 
66, 86, 729ff.) gelungen wäre, die Mehrheit des Hauses auf ihre 
Seite zu bringen. Nach Ansicht dieser Redner erscheint nicht sowohl 
das genannte, sondern jedes Gesetz, welches formell oder im tatsäch- 
lichen Effekt auf einen beschränkten Personenkreis wirkt, als ein 
Verstoß wider Art. 4. Treffende Worte hiergegen fand insbesondere 
der Justizminister Dr. Beseler (Sten Ber 72, 673 und im KommBer 
zu dem angeführten Gesetze, AbgH Drucks. 1907/1908 3 1598). Der 
Antrag, das Deutschtumsgesetz als Verfassungsänderung zu behandeln, 
wurde abgelehnt: AbgH, 18. Januar 1908, Sten Ber 734, 7535, 
740. — Übereinstimmend mit der hierdurch betätigten Rechtsauf- 
fassung Arndt, Komm. 79 und (ohne nähere Begründung) vR## 2 6 
Anm. 1. 
Anschüstz, Preuß. Verfassungs-Urkunde. I. Band. 8
	        
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